International vernetzt, lokal verwurzelt

Interview mit Pfarrerin Inken Wöhlbrand, Direktorin des LWB-Zentrums Wittenberg

Wittenberg, Deutschland/Genf (LWI) – Seit dem 1. Oktober ist Pfarrerin Inken Wöhlbrand (55) die neue Direktorin des LWB-Zentrums Wittenberg, das die Präsenz des Lutherischen Weltbundes (LWB) in der historischen Lutherstadt Wittenberg (Deutschland) gewährleistet. Mit den Lutherischen Welt-Informationen sprach Wöhlbrand über ihren Start in Wittenberg, über die Potenziale ökumenischer und internationaler Begegnungen und über die weltweiten Fäden, die der Luthergarten gesponnen hat.

Wie haben Sie die ersten 100 Tage in Wittenberg und als neue Direktorin des LWB-Zentrums erlebt?

Ich wurde sehr herzlich willkommen geheißen! Die Arbeit, die von meinem Vorgänger Hans Kasch seit der Gründung des LWB-Zentrums Wittenberg 2009 geleistet wurde, hat sehr gute Grundlagen geschaffen. Ich habe beispielsweise eine gute Vernetzung in die gastgebende Kirche – der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland – und in die Lutherstadt Wittenberg vorgefunden. Daran kann ich wunderbar anknüpfen.

Ich hatte das Glück, die Gründungsphase des LWB-Zentrums im Rahmen meiner damaligen Tätigkeit beim DNK/LWB und der VELKD miterleben zu dürfen. Inzwischen ist das LWB-Zentrum fest etabliert, so dass wir in die nächste Phase eintreten können. Insofern stehe ich einerseits für Kontinuität. Andererseits bin ich ein ganz anderer Mensch als Hans Kasch, mit einer anderen Prägung und Biografie, was auch neue Akzentsetzungen mit sich bringt. Personen prägen immer auch ihr Amt – das ist hier nicht anders.

Ein Herzstück des LWB-Zentrums Wittenberg sind die theologischen Seminare für Pfarrerinnen und Pfarrer, zu denen Teilnehmende aus den unterschiedlichen LWB-Regionen zusammenkommen. Welche Bilanz ziehen Sie für das LWB-Zentrum nach 18 solcher zweiwöchigen Durchgänge seit seiner Gründung?

Der Fokus auf die Theologie Luthers hat sich grundsätzlich bewährt. Hinzu kommt die Gelegenheit, sich zusammen mit anderen Teilnehmenden aus sehr unterschiedlichen Ländern und Kontexten mit dieser Materie zu beschäftigen. Das macht das Besondere an diesen Seminaren aus. Was auffällt ist, dass wir als Lutheranerinnen und Lutheraner viel Wert auf eine intensive theologische Ausbildung legen: fast durchgängig haben unsere Teilnehmenden einen langen Weg zum Pfarramt absolviert, der mit einem mehrjährigen Studium und weiteren Ausbildungsschritten verbunden ist.

In unseren Seminaren sehe ich zukünftig mehr Raum für das Verknüpfen der Reformationsgeschichte mit den aktuellen Fragen der Gegenwart. Hierfür benötigen wir aber auch Referentinnen und Referenten mit starken kommunikativen und sprachlichen Fähigkeiten sowie Erfahrung in der Durchführung von international besetzten Seminargruppen.

In zeitlicher Nähe zum Reformationstag 2018 fanden die letzten Baumpflanzungen im Luthergarten statt. Wie geht es nun weiter mit diesem lebendigen Denkmal der Reformation?

Der Luthergarten ist ein öffentlicher Raum für die Kirche und für die Stadtgesellschaft von Wittenberg. Und er wächst in zweierlei Hinsicht: inhaltlich und gestalterisch.

Inhaltlich sehe ich im Luthergarten einen Ort, der zu einem spirituellen Zentrum werden kann und an dem das Zusammenleben der Menschen aller Kulturen und Glaubensrichtungen einen besonderen Ausdruck finden kann. Jeder Baum der 500 Bäume des Gartens verbindet uns in Wittenberg mit einem anderen Ort in der Welt und mit einer anderen Kirche. Nun gilt es, mit den Gästen aus aller Welt, die hierherkommen, und mit den Teilnehmenden an unseren Seminaren diesen Bezug aufzugreifen oder neue Bezüge zu schaffen. Ich kann mir beispielsweise gut vorstellen, mit unseren Seminargruppen unterschiedliche Formen der Spiritualität auszuprobieren und im Luthergarten einen Meditationsweg mit verschiedenen Stationen durchzuführen. Ich möchte auch neue, einladende Formen finden für Menschen, die einer anderen Religion angehören oder sich als konfessionslos verstehen.

Gestalterisch wächst der Garten beispielsweise durch neue Objekte. Weil der Luthergarten fließend übergeht in den städtischen Raum haben in dieser Übergangszone schon einige Kunstprojekte ihren Platz gefunden. In kreativer Zusammenarbeit mit Partnern hier aus dem Wittenberger Kontext können wir bestimmt weitere gute Ideen entwickeln.

Und es ist ja auch schon einiges entstanden. Es gibt zum Beispiel eine Schulkooperation zwischen einer Schule und dem Luthergarten. Aus den Früchten, die die Schülerinnen und Schüler von den Bäumen ernten, kochen sie Marmelade, die dann zum Verkauf angeboten wird. Das Projekt ist sehr erfolgreich: viele Gäste möchten gern ein Glas Marmelade als Souvenir mitnehmen.

Was ist Ihre Vision für das LWB-Zentrum in zehn Jahren?

Ich wünsche mir, dass lutherische Christen in aller Welt wissen und es auch so empfinden, dass sie in Wittenberg eine Heimat fern der eigenen Heimat haben („home far from home“). Ich wünsche und erhoffe mir, dass aus dem Netzwerk der Bäume des Luthergartens ein weltweites Netzwerk von Menschen wird, weit über die lutherische Familie hinaus. Ich erhoffe und bete, dass unsere theologische Arbeit und unsere geistliche Weggemeinschaft mit Menschen aus aller Welt dazu beitragen, dass wir in Frieden und gegenseitiger Wertschätzung miteinander leben. Wie wenig selbstverständlich das ist, sehen wir im eigenen Land und hören es auch in den Alltagserfahrungen unserer Besucherinnen und Besucher. Dafür lohnt es sich einzustehen, auch als Minderheit in der Gesellschaft – wie wir Christinnen und Christen es beispielsweise auch in Wittenberg sind.