Indien: Aus der Armut in ein würdiges Leben mit Selbstachtung

In Chennai, Indien, bietet die Christlich-Lutherische Kirche für Mitglieder der Transgender-Gemeinschaft Kurse zur wirtschaftlichen Befähigung und persönlichen Entwicklung an. Auf diesem Foto: Bischof Stanley Jose (im Hintergrund, 2.v.l.) mit einigen Studierenden eines Kosmetikkurses. Foto: CLC

Transgender-Gemeinschaft zu wirtschaftlicher Unabhängigkeit verhelfen

CHENNAI, Indien/GENF (LWI) – Ein Qualifizierungsprogramm der Christlich-Lutherischen Kirche (CLK) in Chennai, Indien, eröffnet Transgender-Personen die Chance, ein Leben in Würde, Selbstachtung und wirtschaftlicher Unabhängigkeit zu führen. Als die Initiative 2020 begann, wurde als Ziel definiert, mindestens 60 verarmten Menschen im Jahr zu helfen. Nur ein Jahr später war diese Zahl auf 75 gestiegen, und inzwischen haben mehr als 200 Menschen an den Kursen teilgenommen.

Im März 2020 hat die letzte Gruppe von Auszubildenden Zertifikate und Lizenzen erhalten, um Motorradtaxis zu betreiben, Schönheitssalons zu eröffnen, Schmuck herzustellen und künstlerisch gestaltete Jutebeutel zu produzieren. Der Lutherische Weltbund (LWB) unterstützt das Projekt, seit es im Januar 2020 auf den Weg gebracht wurde.

„Mit Unterstützung der Kirche habe ich zu Hause einen Salon eingerichtet und helfe jetzt anderen Menschen, schön auszusehen“, sagt die Kosmetikerin Swetha, die als Mann geboren wurde, sich aber als Frau identifiziert. Sie erzählt: „Ich habe nicht nur angefangen, ein Leben voller Selbstachtung zu führen, indem ich selbständig arbeite. Ich brauche mir auch keine Sorgen mehr um Essen, eine Wohnung und meine Gesundheitsversorgung zu machen. Ich danke der lutherischen Kirche für ihr Engagement, um ausgegrenzten Menschen zu helfen.“

Eine Transgender-Person identifiziert sich nicht mit dem Geschlecht, das ihr bei der Geburt zugewiesen wurde. Nach Statistiken der Regierung gibt es in Indien etwa 4 Millionen Transgender-Personen; die Zahl könnte aber höher liegen. Obwohl von der Regierung offiziell anerkannt, werden Transgender-Personen im Land nach wie vor stigmatisiert und ausgegrenzt. In Chennai arbeitet die CLK mit der Transgender Rights Association (TRA) zusammen, die sich für die in der Verfassung Indiens festgelegten Rechte von Transgender-Personen einsetzt.

Durchbruch

Swetha hätte sich niemals vorstellen können, dass ihr Leben einmal eine so entscheidende Wende nimmt. Vor mehr als zehn Jahren hat sie ihr Leben auf dem Lande „deprimiert und niedergeschlagen“ hinter sich gelassen. Als sie nicht mehr in der Lage war, die permanenten Kränkungen und Misshandlungen ihrer Geschwister und die Sorgen ihrer Eltern um den guten Ruf ihrer Familie zu ertragen, nachdem offenbar wurde, „dass mein Geschlecht nicht meinen körperlichen und sozialen Gegebenheiten entspricht“, machte sie sich auf den Weg nach Chennai. Dort schloss sie sich einer Gruppe von Transgender-Personen an, bettelte auf Bahnhöfen, an Bushaltestellen und auf gut besuchten Märkten, bis sie jemanden von der TRA traf und ihr empfohlen wurde, sich an die lutherische Kirche zu wenden. 

Anders als Swetha wurde Idhayakani als Frau geboren, identifiziert sich jedoch selbst als Mann und hat schon in der Kindheit Misshandlungen und Ablehnung erlebt. So fand auch er einen Ausweg in Chennai. Mit Hilfe des Qualifizierungsprogramms der CLK konnte er vor kurzem seinen Führerschein machen und freut sich jetzt auf eine berufliche Tätigkeit als Taxifahrer: „Ich bin froh, dass ich fahren lernen konnte und jetzt meinen Lebensunterhalt auf Dauer selbst verdienen kann.“

Motivation innerhalb der Gruppe

Abgesehen von den grundlegenden Fähigkeiten, die alle Teilnehmenden erwerben, ist ein fester Bestandteil des CLK-Programms die Erwartung, dass die Motivation zum Lernen innerhalb der Community gefördert wird. Sobald eine Person ausgebildet wurde, wird von ihr verlangt, dass sie ihre Fähigkeiten dazu verwendet, mindestens eine Person in der Transgender-Community ebenfalls entsprechend auszubilden und andere zu motivieren, an dem CLK-Programm teilzunehmen. Darüber hinaus unterstützt die Zusammenarbeit mit der TRC die Auszubildenden dabei, ihre gesetzlich verankerten Rechte zu verstehen und andere Mitglieder der Transgender-Gemeinschaft darüber aufzuklären.

„Da sie eine gemeinsame schmerzvolle Vergangenheit haben und den gleichen Weg zurückgelegt haben, bis sie durch harte Arbeit und Beständigkeit zu einem Leben voller Selbstachtung gefunden haben, sind sie ein Vorbild für andere Frauen und Männer. Dies hat zu der erfolgreichen Umsetzung des Programms beigetragen“, sagte CLK-Bischof Stanley Jose. Allein 2021 wurden 12 Motivationskurse zum Erwerb unterschiedlicher Kompetenzen durchgeführt.

Jose sagt, dass die im Rahmen des Programms angebotenen Aktivitäten einen signifikanten Beitrag zum wirtschaftlichen Fortschritt und sozialen Wandel innerhalb einer Bevölkerungsgruppe beigetragen habe. „Diese lebensverändernden Trainingsprogramme haben den Menschen geholfen, die Diskriminierung und Verachtung zu überwinden, die ihnen so oft bei anderen Menschen begegnen.  Jetzt müssen sie nicht mehr betteln, sondern können arbeiten und in Würde leben. Sie sind glücklich, sich gut ernähren zu können, anständige Kleidung zu tragen und die Miete für bessere Wohnungen zahlen zu können“, stellte er fest. „Sie haben außerdem an Selbstachtung, Würde und Vertrauen gewonnen und erfahren jetzt Hilfe, um Depressionen, Einsamkeit, Zurückweisung, Isolation und Selbstmordgedanken zu überwinden.“

Die Gemeinschaft der Christlich-Lutherischen Kirche sei mittlerweile zu einer Großfamilie für Menschen aus der Transgender-Community geworden, so der Bischof. Über die Gemeinschaftsgruppen für junge Menschen, Frauen und Männer erreichen die Gemeindemitglieder Transgender-Personen in ihren lokalen Gemeinschaften und bieten ihnen großzügige Unterstützung an, damit das Projekt nachhaltige Wirkung zeigt.

Die Christlich-Lutherische Kirche ist eine der 12 LWB-Mitgliedskirchen in Indien. Sie wird von Bischof Stanley Jose geleitet und zählt 6.260 Mitglieder. Seit 2018 gehört sie dem LWB an. Sie ist ebenfalls Mitglied der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirchen in Indien

Im Rahmen des Projektportfolios der Mitgliedskirchen unterstützt der LWB Kirchen in ihren Initiativen, pragmatische Lösungen für die dringendsten Probleme in ihren Gemeinden und in den Gemeinschaften insgesamt zu finden. Zu den von den Kirchen genannten Prioritätsprojekten gehören theologische Ausbildung, Advocacy-Arbeit für Menschenrechte, Gesundheitsversorgung, Initiativen zur Existenzsicherung sowie Autarkieprogramme für Frauen und junge Menschen.

Von LWB/P. Mumia. Deutsche Übersetzung: Detlef Höffken, Redaktion: LWB/A. Weyermüller