Gott bekräftigt das Leben und gibt uns Hoffnung

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Osterbotschaft 2020 des LWB von Nestor Paulo Friedrich

CAPAO DA CANOA, RS, Brasilien/GENF

Und sie kamen zum Grab am ersten Tag der Woche, sehr früh, als die Sonne aufging. Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür? Und sie sahen hin und wurden gewahr, dass der Stein weggewälzt war; denn er war sehr groß. (Markus 16,2-4)

Liebe Schwestern und Brüder in Christus,

mitten in der Corona-Pandemie schreibe ich Ihnen diese Botschaft. Wir stehen unter Quarantäne. Von zu Hause aus verfolgen wir in den Medien die Entwicklung der Infektionszahlen und die steigende Zahl der Todesfälle. Überall wird viel unternommen, um die Menschen auf dem Laufenden zu halten und darüber zu informieren, wie wir eine Ansteckung vermeiden können. Das Gebot der Stunde ist: Bleibt zu Hause. Zu Beginn der Krise waren die Reaktionen noch sehr unterschiedlich – von einigen wurde das Problem heruntergespielt, andere erfanden eine Verschwörung von Politik und Wirtschaft, wieder andere erwiesen sich als Opportunisten und machten für ihre Kirchen, die ein „Wohlstandsevangelium“ verkünden, fundamentalistisch-religiöse Heilsversprechen. Natürlich wissen wir alle, dass wir in Momenten wie diesen ruhig bleiben müssen und nicht verzweifeln dürfen, dass wir gelassen und gefasst bleiben müssen. Aber es ist schwer, unsere Verletzlichkeit und Zerbrechlichkeit zu verbergen. Unsere Herzen sind erfüllt von Angst, und das Gefühl von Unsicherheit nimmt zu. Wie können wir wissen, was noch vor uns liegt? Wer wird den Stein für uns wegwälzen?

Die Natur erteilt uns gerade eine bittere Lektion. Von jetzt auf gleich ist die Welt kleiner geworden. Wir sind viel stärker miteinander verbunden und voneinander abhängig als wir dachten. Wir entdecken die Menschheitsfamilie und alle ihr innewohnenden Widersprüche aufs Neue. Die Pandemie bringt ans Licht, in was für einer ungerechten Welt wir leben. Sie ist ein Beweis für die schwere Krise unseres aktuellen neoliberalen Wirtschaftsmodells, die Ineffizienz der Politik und die Krise, in der sich der Staat als Garant des Allgemeinwohls und der sozialen Gerechtigkeit befindet. Sie offenbart das sündige Wesen des Menschen. Sie fordert uns heraus, zu theologischen Konzepten wie der persönlichen und der strukturellen Sünde zurückzukehren, die gegenwärtig ihr grausames und unheimliches Gesicht zeigt. Das Coronavirus hat keinen Respekt vor den Menschen, und seine Auswirkungen auf die verschiedenen Bevölkerungsgruppen werden sehr unterschiedlich sein. Nicht nur unsere individuelle Gesundheit ist gefährdet, sondern auch unsere Zukunftsfähigkeit, unser „tägliches Brot“. Wer wird den Stein für uns wegwälzen?

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Maria Magdalena und Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome stehen früh auf. Sie sind voller Sorge und haben Angst. Sie wollen Jesu Leib mit wohlriechendem Öl salben. Die vergangenen Tage waren anstrengend. Sie haben die Hölle und den Hass miterlebt, die zur Peinigung, Kreuzigung und zum Tod Jesu geführt haben. Wie können sie angesichts dieser zerstörerischen Kraft nicht voller Sorge und Angst sein? Ihre Herzen, die einst voller Hoffnung waren, sind nun erfüllt von Verzweiflung, Schmerz, Gram und großer Traurigkeit! In der Gemeinschaft mit Jesus hatten sie weite Horizonte und die Wiederherstellung ihrer selbst erlebt. Zusammen mit Jesus hatten sie bedingungslose Liebe erfahren. In der Gemeinschaft mit Jesus hatten sie einen gnädigen Gott erfahren, der über all jene wacht und bei sich aufnimmt, die ansonsten nie gesehen werden oder willkommen sind. Sie haben die Vergebung Gottes erfahren, die ihnen wahren Frieden gebracht und alle Angst besiegt hat. Als letzten Liebesbeweis wollen die Frauen nun den Leichnam Jesu salben.

Als sie aber zum Grab kommen, erschrecken sie und sind verblüfft. Der Stein ist weggewälzt worden. Ein Jüngling in weißem Gewand sagt ihnen, dass sie keine Angst haben müssen, dass Jesus auferstanden sei. Der Jüngling sagt den Frauen, sie sollten hingehen und den Jüngern und Petrus davon berichten, und sich auf den Weg nach Galiläa machen. Dort würden sie Jesus sehen, wie er ihnen gesagt hatte.

Niemand hatte mit dem Wunder der Auferstehung gerechnet. Der große Stein vor dem Eingang zum Grab war – aus Sicht der Menschen – das Ende der Geschichte. Aber wieder einmal überrascht uns Gott – genau wie beim Exodus und dem Weihnachtsgeschehen. Alle drei Ereignisse widersprechen menschlicher Logik. Gott lässt Jesus auferstehen! Gott bekräftigt das Leben als bedeutendste Ausdrucksform seines Reiches.

Angst und Ungläubigkeit werden durch das Wunder der Auferstehung verwandelt. Es öffnet den Jüngern die Augen, erwärmt ihre Herzen und lässt sie sich auf den Weg machen, aller Welt zu verkündigen, dass der Herr auferstanden ist.

Die Erfahrung der Auferstehung gibt ihnen und ihrem Wirken eine neue Ausrichtung und neue Hoffnung. Sie ermöglicht es ihnen, die Welt und sich selbst mit anderen Augen zu betrachten. Sie ermöglicht es ihnen, sich auch in schwierigen Zeiten und trotz des unvermeidbaren Leids, das Teil des Lebens ist, dem Leben zu stellen. Sie ermöglicht es ihnen, das Kreuz zu tragen und sich den Kreuzen zu stellen, die ihnen als Folge der Sündhaftigkeit des Menschen noch begegnen werden.

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Gott hat Jesus nicht von den Toten erweckt und den Stein von dem Grab weggewälzt, damit wir angesichts der Sünde, die zu Jesu Kreuzigung geführt hat, untätig und passiv bleiben. Der Glaube an Jesus Christus verblasst oder verschwindet nicht angesichts des Todes! Im Schmerz begegnen wir Gott neu und lernen in unseren Nächsten unsere Schwestern und Brüder neu kennen. Inmitten des durch das Coronavirus verursachten großen Schmerzes und Leides können wir auch Zeichen der Hoffnung erkennen: Die Menschen sind solidarisch, es gibt Initiativen und Vorstöße, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen, die Gemeinschaft im Glauben wird virtuell durch gemeinsame Online-Gottesdienste und gemeinsames Online-Beten gelebt, den Menschen, die in der Pflege und im Gesundheitswesen arbeiten, wird großer Dank entgegen gebracht, es wird sich bemüht, die Verluste so gering wie möglich zu halten, es gibt immer wieder Zeichen der Liebe, und alle versuchen, objektiv und mit Respekt zu handeln. Unsere heutige Lebensrealität fordert uns alle heraus, über Einstellungen und Haltungen zum Leben nachzudenken, das Gott uns in seiner Gnade geschenkt hat, und neue Einstellungen und Haltungen anzunehmen. Es wäre – im Lichte des Evangeliums – töricht, sich dem Coronavirus entgegenstellen zu wollen, ohne zum Beispiel auch auf die Stimme der jungen Menschen zu hören, die den derzeitigen Klimakollaps anprangern.

Am Ende des 16. Kapitels des Markusevangeliums werden wir zurückgeführt an den Anfang des Evangeliums: die Rückkehr nach Galiläa, zurück auf Anfang. Warum? Weil Jesus Christus lebt. Weil wir an das Evangelium glauben, weil Gott den Stein wegwälzt, der uns im Reich des Todes gefangen halten will. Weil wir Hoffnung haben.

Möge das Wort Christi uns Trost spenden und uns im Frieden Gottes tragen und halten, möge es uns die Ruhe und Gelassenheit schenken, die wir in dieser von Schmerz, Verlust, Trauer, Unsicherheit und Leid geprägten Zeit der Pandemie brauchen. Möge Gott uns Weisheit schenken und uns beflügeln, Zeugnis abzulegen für das Leben mit einer Einstellung, die die Barmherzigkeit und Liebe zum Ausdruck bringt, die unserem Glauben an Gott entspringen. Christus sprach: „Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium!“ (Markus 1,15)

Amen!

Pfarrer Dr. Nestor Paulo Friedrich ist LWB-Vizepräsident für die Region Lateinamerika und die Karibik.