Glaubensgemeinschaften müssen aus Nordirak fliehen

Eine von 170 binnenvertriebenen irakischen Familien aus Mossul, die der Glaubensfamilie der Shia und des Zoroastrismus angehören und im christlichen Dorf Bandaywa Zuflucht gefunden haben. Foto: LWB/D. Poppe

LWB verurteilt extremistische Taten; sucht nach Wegen, den Binnenvertriebenen in der Region beizustehen

(LWI) – Der Generalsekretär des Lutherischen Weltbundes (LWB), Pfr. Martin Junge, hat die Diskriminierung von ChristInnen, SchiitInnen und anderen religiösen und ethnischen Minderheiten im Nordirak durch die sunnitische militante Gruppe Islamischer Staat im Irak und der Levante (ISIS) aufs Stärkste verurteilt.

Tausende Christinnen und Christen fliehen derzeit aus dem Nordirak und aus den Gemeinschaften, in denen sie seit fast 2 000 Jahren leben, da die ISIS ihnen ein Ultimatum gestellt hat, zum Islam zu konvertieren und eine Steuer zu zahlen oder für ihren Glauben getötet zu werden. In Mossul, der zweitgrössten Stadt im Irak, lebten zur Zeit der U.S.-geführten Invasion im Jahr 2003 rund 60 000 ChristInnen und im Juni waren es immer noch 35 000 Menschen. Mossul ist der Geburtsort des assyrischen Christentums, eine der ältesten christlichen Gemeinschaften. Auch andere Glaubensgemeinschaften werden angegriffen und sind gezwungen zu fliehen.

„Was wir im Nordirak sehen, ist eine ungeheuerliche Entwicklung. Wir sind zutiefst betroffen, von dem Leid der Menschen zu hören, denen die Grundrechte abgesprochen werden. Diese Menschen haben ein Recht darauf, nicht wegen ihres Glaubens diskriminiert zu werden, und sie leben seit Generationen friedlich Seite an Seite mit Menschen anderen Glaubens–von denen nun ebenfalls viele gezwungen sind, zu fliehen“, sagte Junge.

Die ISIS, die in Mossul und der umliegenden Region die Macht übernommen hat, hat auf dem Gebiet des Irak und Syriens, wo er ebenfalls aktiv ist, die Errichtung eines „Islamischen Staats“ oder „Kalifats“ verkündet. Viele christliche, schiitische, jesidische (zoroastrische) und kurdische ethnische Gemeinschaften sind in das kurdisch-kontrollierte Gebiet der Ninive-Ebene östlich und nördlich der Region um Mossul und weiter in das kurdische Gebiet geflohen, wo sich infolge des Konflikts in Syrien bereits mehr als 200 000 syrische Flüchtlinge aufhalten.

„Als LWB sind wir ausserdem betroffen, da die Mehrheit der Betroffenen unsere Brüder und Schwester im Leib Christi sind. Wir missbilligen die Tatsache, dass Christinnen und Christen und andere religiöse Minderheiten aufgrund extremistischer Ansichten, die sich auf Religion berufen, von diesen extremistischen Ansichten betroffen sind“, sagte Junge.

Kirchliche Organisationen in Mossul, mit denen der LWB gesprochen hat, berichten, dass militante ISIS-Mitglieder alle Kirchen und Klöster in der Stadt in ihre Gewalt gebracht haben und viele davon niedergebrannt, ausgeraubt, zerstört oder in Moscheen umfunktioniert wurden. ISIS zerstörte auch mindestens 24 Heiligtümer in Mossul, einschliesslich einer Moschee, in der sich ein Heiligtum befand, von dem geglaubt wird, dass er das Grab Jonas ist. Jona wird sowohl von christlichen als auch von muslimischen und jüdischen Gläubigen verehrt.

Der LWB sucht nach Wegen, den Binnenvertriebenen und Betroffenen im Nordirak zur Seite zu stehen. In den letzten Tagen hat ISIS die Wasserversorgung aus zentralen Pumpanlagen am Tigris in Mossul, die in die kurdisch-kontrollierten Gebiete der Ninive-Ebene führt, abgeschnitten. In Zusammenarbeit mit den Partnerorganisationen im ACT-Bündnis ruft der LWB zu Spenden auf, um eine Notversorgung mit sauberen Wasser für 12 5000 Binnenvertriebene und der Bevölkerung vor Ort zu ermöglichen, und zusätzlich zwei Monate die Nahrungsmittelversorgung für 2 500 binnenvertriebene Familien zu garantieren. Der LWB will ausserdem 5 000 betroffenen Menschen, die psychologische und physische Traumata erlitten haben, psycho-sozialen Unterstützung zur Verfügung zu stellen.

Obwohl ein Grossteil der ursprünglich vertriebenen Bevölkerung von sunnitisch-arabischer Volkszugehörigkeit in ihre Heimat in der Region Mossul zurückgekehrt ist, haben die vertriebenen Minderheiten schiitischer, christlicher, jesidischer und kurdischer Volkszugehörigkeit weiterhin Angst um ihre Zukunft unter einer ISIS-Herrschaft und werden mittelfristig wahrscheinlich in der kurdischen Region des Irak oder in der Ninive-Ebene bleiben.