Gabe und Last – vom Dienst der Kirche in Indonesien

Extrasnack vom Mangobaum: Kindheit im Waisenhaus der HKBP in Pematang Siantar. Foto: LWB/ C. Kästner

Was haben Justin Bieber und das Kreuz Christi gemeinsam? Für die sechs Schülerinnen im Mamre-Waisenhaus in Pematang Siantar sind beide wichtig: Sie haben sie Seite an Seite an der Wand aufgehängt. Yuspita (13) von der Insel Nias ist eine von ihnen. Wir treffen sie, nachdem sie ihre blaue Schuluniform aus- und Alltagskleidung angezogen hat. Stolz zeigt sie ihre Bücher und begrüsst uns auf Englisch. „Justin Bieber ist mein Lieblingssänger“, erklärt sie uns.

Wir treffen Yuspita und ihre Zimmerkameradinnen am 10. Juni 2014 im Rahmen eines Besuchs im Vorfeld der LWB-Ratstagung, die vom 11. bis 17. Juni in Medan stattfand. Pematang Siantar liegt etwa dreieinhalb Stunden von Medan entfernt. Die Geistlichen vor Ort berichten uns, dass die Stadtbevölkerung mehrheitlich christlich sei. Vier LWB-Mitgliedskirchen haben hier ihren Hauptsitz. Unsere Besuche bei verschiedenen diakonischen Projekten schenken uns Einblicke, wie indonesische LWB-Kirchen in die Gesellschaft hinein wirken.

Das Mamre-Waisenhaus wird von der Christlich-Protestantischen Kirche in Indonesien (GKPI) betrieben. Aktuell leben hier 58 Kinder im Alter von 3 bis 19 Jahren. Sie kommen aus Nordsumatra und Nias, viele von ihnen haben ihre Familien bei dem Tsunami 2004 verloren. In Mamre habe sie ein Zuhause gefunden und können bis zur Sekundarstufe öffentliche Schulen besuchen. In manchen Fällen folgt danach ein Studium an der Universität oder am theologischen Kolleg. Das Waisenhaus ist als hübsches kleines Dorf mit Einzelhäusern, einem Gemüsegarten und seit neustem, so erzählt man uns, auch einem Hühnergehege angelegt. Es bietet den Kindern ein Bildungsniveau, das für viele von ihnen unter anderen Umständen unerreichbar wäre. Zu den SpenderInnen zählen auch ehemalige Schutzbefohlene, die die Universität besucht haben und inzwischen gut verdienen. Wir sehen Kinder, die glücklich wirken. Sie interessieren sich zwar für uns Besucher, aber vielfach scheint ihr eigenes Spiel sie deutlich mehr zu fesseln.

Die Existenz des Waisenhauses an sich belegt jedoch den Wandel in der indonesischen Gesellschaft, so hören wir dort. Viele Kinder kommen aus traditionellen Batak-Familien. Bei den Batak hat die Familie einen extrem hohen Stellenwert. Bei unseren Besuchen sehen wir das daran, dass sich Bischöfe und kirchliche Mitarbeitende nicht nur mit ihrem Namen und ihrer Funktion vorstellen, sondern uns auch ganz selbstverständlich informieren, ob sie verheiratet sind und wie viele Kinder sie haben.

Bis vor wenigen Jahrzehnten wäre es selbstverständlich gewesen, dass diese Kinder bei Verwandten aufgenommen werden. Im Waisenhaus hören wir jedoch, das im Lauf der Zeit zunehmend schwieriger geworden ist. Armut und die moderne Gesellschaft schwächen die familiären Bindungen. Nicht alle Kinder sind tatsächlich Waisen, zum Teil sind ihre Mütter auch alleinerziehend oder ihre Eltern so arm, dass sie sie nicht ernähren können. Pfarrer oder Verwandte verweisen sie dann an das Waisenhaus. Unser Steward formuliert es so: „Früher hat man viele Kinder als viele Gaben betrachtet, heute gelten viele Kinder als viele Lasten.“

Spuren deutscher Mission: Die Simalungun-Bibel

Das indonesische LWB-Nationalkomitee, das die Ratstagung 2014 ausrichtete, vertritt 13 LWB-Mitgliedskirchen. Mit über 5,8 Millionen LutheranerInnen repräsentieren sie die Vielfalt der indonesischen Kultur mit über 100 Sprachen und einer vielfältigen Missions- und Evangelisierungsgeschichte.

Ein Besuch bei der Protestantisch-Christlichen Simalungun-Kirche (GKPS) gibt einen Hinweis, warum es in Indonesien so viele verschiedene Kirchen gibt. Die Simalungun, eine Untergruppe der Batak, haben sich 1963 von der Protestantisch-Christlichen Batak-Kirche (HKBP) abgespalten, weil sie in ihrer eigenen Sprache Gottesdienst feiern wollten. Sie sind stolz auf dieses Erbe und verfügen sogar über ihre eigene Simalungun-Bibelübersetzung und -Liturgie. Interessant ist das Amt der „Bibelfrau“ – ein deutsches Wort, das die Simalungun Batak von den MissionarInnen übernommen haben, die ihnen das Christentum brachten. Dieses Amt also ist dem der Diakonisse recht ähnlich. Die Bibelfrau hat die Aufgabe, den Pfarrer zu unterstützen, absolviert dazu eine mit einem Bachelor-Abschluss vergleichbare theologische Ausbildung und wird dann zu diesem Amt ordiniert.

Die GKPS betreibt auch eines der ältesten LWB-Projekte im Land. Das Projekt „Verbesserung der ökonomischen und sozialen Lebenssituation armer Gemeinwesen“ oder, mit der indonesischen Abkürzung, PELPEM wird von der Abteilung des LWB für Mission und Entwicklung (AME) finanziert und ist unlängst in die neue Projektphase 2014/2016 eingetreten. Im Rahmen des Projekts werden Kenntnisse im ökologischen Landbau vermittelt, das Bewusstsein für Menschenrechte und Advocacy gestärkt und Landflächen bewahrt, die von kommerzieller Ausbeutung bedroht sind. Eine ganz konkrete Massnahme ist die Sicherung einer ausreichenden Trinkwasserversorgung – zuvor mussten die Frauen drei Stunden eine sehr steile Strasse hinunter- und wieder hinauflaufen, um das Wasser für ihre Familie zu beschaffen. 12.000 Menschen profitieren direkt von PELPEM. Das Projekt bindet ganze Dörfer ein, ungeachtet ihrer Religionszugehörigkeit.

Wege aus der Armut

Die indonesische Gesellschaft befindet sich in einem rasanten Wandlungsprozess. Mit ihrer Empathie und ihrem Zeugnis mildert die kirchliche Arbeit die Wirkung dieses Wandels auf die Schwächsten. Es gibt lutherische SeniorInnenprojekte und sonderpädagogische Programme. In den Werkstätten des Hephata-Zentrums erleben wir junge Menschen, die Kleidung nähen und Schuhe herstellen. Auch in den Zimmern der Mädchen in den Waisenhäusern haben wir zuvor schon Nähmaschinen gesehen. Die Lehrkräfte hier informieren uns, dass über 80 Prozent der Jugendlichen dank dieser Ausbildung Arbeit finden und sich später selbst ernähren können.

Deutlich wird uns, wie wichtig diese Initiativen sind, als wir uns in dem zum Teil atemberaubenden Verkehr auf indonesischen Strassen bewegen. Zwischen ausweichenden Autos und den Verkehr kreuzenden Motorrädern sehen wir Gruppen von Schulkindern auf dem Nachhauseweg. Im Kontrast dazu nehmen wir Ladengeschäfte am Strassenrand wahr, wo Kinder derselben Altersgruppe hinter der Theke sitzen und ihre Eltern unterstützen. Zwar besteht Schulpflicht und der Schulbesuch ist bis zur 9. Klasse kostenlos, aber viele Kinder müssen schon sehr früh zum Familieneinkommen beitragen.

Die Schulen der Religionsgemeinschaften haben den Ruf, qualitativ hochwertige Bildung zu vermitteln, so dass die SchülerInnen, die sie besuchen, später bessere Arbeitsplätze finden. Wir treffen mit den Lehrkräften der Berufsfachschule der HKBP zusammen, deren Schüler Prototypen von Automotoren bauen. Der Ruf der Schule reicht über Sumatra hinaus und zieht auch junge Leute aus Java an.

Beten im Radio

Bildung ist eine Bedingung, um die eigenen Rechte einfordern zu können. Eine andere ist die Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen. Ganz wörtlich passiert das bei Radio Suara Diakonia, der „diakonischen Stimme der HKBP“. Auf UKW 103,4 hört man von Menschen, die in der Diakonie arbeiten, von jenen, die in der Gesellschaft oft nicht gehört werden, und es gibt auch Sendungen, wo PolitikerInnen zu ihrem Programm Rede und Antwort stehen müssen. Moderator Hendrik Simanjuntak und fünf KollegInnen sind seit fast einem Jahr auf Sendung. „Die meisten unserer Zuhörer sind sehr arm und in Not“, sagt Simanjuntak. „Wie vermitteln wir ihnen die frohe Botschaft so, dass sie verstehen, dass Gott auf ihrer Seite ist? In einem muslimisch geprägten Land wo die Menschen arm sind, ist es manchmal schwer, den Glauben zu bewahren. Das Radio gibt den Menschen Kraft, sich weiter offen dazu zu bekennen.“

Der Sender finanziert sich mit Werbung, erhält Mittel von den indonesischen Kirchen und hat kürzlich zum Kauf eines Generators einen Zuschuss von der ELKA erhalten. Er erreicht die Menschen in Pematang Siantar und Umgebung. Täglich rufen 40 bis 50 HörerInnen mit Musikwünschen und Gebetsanliegen an - dabei geht es um Hochzeitstage, Geburtstage, Erkrankungen oder andere Nöte. Für diese Anliegen wird live in der Sendung gebetet. Auf ganz unspektakuläre und doch höchst wirkungsvolle Weise erfahren die Menschen so: „Du bist nicht allein.“