Explosives Erbe in Kolumbien

Cristo Perez, Landminenversehrter und Vorstandsmitglied von ASODIGPAZ, einer kolumbianischen Partnerorganisation des (LWB). Foto: LWB/Antonio Sánchez Salazar

LWB unterstützt von Landminen versehrte Menschen

ARAUCA, Kolumbien (LWI) – Er hätte auf den Warnruf des Vogels in den Bäumen achten sollen, erinnert sich Cristo Perez. Dann wäre er an jenem schicksalhaften Tag vor drei Jahren vielleicht nicht auf die Landmine getreten und hätte weiterleben können wie bisher.

Omen wie jener Vogelruf haben für den 32-jährigen Vater von acht Kindern große Bedeutung. Er gehört dem Volk der U’wa an, deren angestammtes Gebiet sich über die Departamentos Norte de Santander, Arauca, Boyacá und Casanare im östlichen Kolumbien erstreckt. Perez lebt in Cerro Alto Cibariza, einer Ansiedlung für Indigene im Municipio Fortul, Departamento Arauca (Kolumbien).

Nach dem jahrzehntelangen Bürgerkrieg hält Kolumbien den traurigen Rekord als Land mit der zweithöchsten Anzahl von Landminenexplosionen weltweit. Im Departamento Arauca, durch das ein Nachschubweg der Guerillas verlief, geht nach wie vor Gefahr aus von einer großen Anzahl nicht entschärfter Antipersonenminen und anderer Sprengkörper. Nach Unterzeichnung des Friedensabkommens endeten die Kämpfe, die tödlichen Landminen aber verblieben an Ort und Stelle.

Das Municipio Tame, wo Perez auf die Landmine trat, hat den kolumbienweit zweithöchsten Anteil an Landminenopfern. Allein in diesem Jahr starben in Kolumbien 23 Menschen nach Landminenexplosionen, davon vier in Arauca. Viele weitere werden lebenslang verstümmelt.

Viele Stunden ohne medizinische Versorgung

An jenem schicksalhaften Tag 2013 war Perez mit seinem Bruder auf der Jagd. „Der Tritt auf die Landmine erschreckte mich“, erinnert er sich. „Die Explosion hob meinen Arm und mein Bein, wie in einem Film. Ich stand einfach da – schwindelig, benommen, konnte nichts hören, dann fiel ich um.“ Er spürte warmes Blut in seinen Stiefel schießen, versuchte aufzustehen. „Das ging nicht, also blieb ich liegen.“

Es dauerte einen halben Tag, bevor Perez medizinisch versorgt wurde. Sein Bruder alarmierte die Nachbarn, die ihn vier Stunden später aus dem Wald holten. Bis der Krankenwagen kam, war es fast Mitternacht. Mit Umweg über zwei Gesundheitsstationen in der Nähe brachte der ihn schließlich nach Cúcuta im Nordosten Kolumbiens an der Grenze zu Venezuela. Unterwegs hatte ein Arzt in Saravena die Amputation angeordnet.

Erzürnte Geister

Perez weigerte sich jedoch seinerseits, die Einwilligung zur Amputation seines Beines zu geben und wollte stattdessen von einem traditionellen Heiler behandelt werden. „Wenn wir U’wa eine europäische Krankheit bekommen, dann gehen wir zu einem europäischen Doktor. Aber wenn der einen Menschen nicht heilen kann, folgt daraus, dass die Krankheit mit unserer traditionellen Geisterwelt zu tun hat. Dann rufen wir den cacique, die höchste spirituelle Autorität“, erläutert Perez.

Nach dem Verständnis der U’wa hatte die Explosion die Geister gestört, die den Berg hüten, und so eine Verletzung verursacht, die die moderne Medizin nicht heilen konnte. „Die Weißen glauben nicht an diese Dinge, aber wir glauben, dass, wenn uns zum Beispiel eine Schlange beißt, oder wir eben auf eine Landmine treten, die Angst der betroffenen Person einen bösen Geist herbeiruft. Dann brauchen wir einen indigenen Arzt, um uns zu heilen.“

Dem cacique gelang es, das verletzte Bein zu heilen, aber Perez bleiben dauerhafte körperliche Einschränkungen. Auf dem rechten Auge ist er nahezu blind, auf dem rechten Ohr taub. „Ich habe meine Erinnerung und mein Wissen verloren und dann ist da die Angst und das Leid, die mein Tritt auf die Landmine verursacht hat“, so seine Beschreibung dessen, was in einem westlichen Kontext wohl als posttraumatische Belastungsstörung eingeordnet würde.

Frieden und Würde

In einer indigenen Gruppe wie den U’wa, wo das Leben von gegenseitiger Unterstützung und Zusammenarbeit geprägt ist, hat die körperliche Versehrtheit einer einzelnen Person Folgen für das ganze Gemeinwesen. „Nach der Explosion haben sich alle aus meiner Siedlung um mich gekümmert“, erinnert sich Perez. „Ich kann nicht mehr so arbeiten wie vorher. Glücklicherweise versorgen mich meine Kinder und ich helfe meiner Frau beim Putzen, Kochen, Schälen der Kochbananen… Mir fehlt die gemeinsame Feldarbeit, aber die kann ich einfach nicht mehr machen.“

Perez hat für sich andere Möglichkeiten gefunden, der Gemeinschaft etwas zurückzugeben. Seit 2014 gehört er dem Vorstand von ASODIGPAZ (Asociación de Sobrevivientes de Minas Antipersona Luchando por la Dignidad y la Paz), einer Vereinigung von Landminenversehrten, an. Sie ist eine Partnerin des Lutherischen Weltbundes (LWB) im Departamento Arauca und wird als solche von der weltweiten lutherischen Kirchengemeinschaft unterstützt.

Durch ASODIGPAZ und deren Projekt zur Prävention, Versehrtenbegleitung und Kapazitätsentwicklung leistet der LWB psychosoziale Unterstützung für 42 Familien von Landminenversehrten. Der LWB begleitet sie, wenn sie die ihnen zustehenden Hilfen von den Behörden einfordern, und er setzt sich ein für behindertengerecht ausgestattete öffentliche Räume. Gemeinsam mit den Versehrten führt der LWB Aufklärungskampagnen über die Gefahren der Landminen und anderer Sprengkörper durch, um weitere Tragödien zu verhindern.

Kampf um die Rente

Für Perez ist ASODIGPAZ eine wichtige Hilfe. „Ich habe viel gelernt über diese Sprengkörper“, erzählt er. „Ich habe Menschen getroffen, die noch schwerwiegendere Verletzungen davongetragen haben als ich, und wir alle unterstützen uns gegenseitig. Alle Mitglieder von ASODIGPAZ – Indigene wie Nicht-Indigene – kämpfen für unsere Rechte, für Entschädigungszahlungen und dafür, dass Versehrte mit langfristigen Einschränkungen die Rente zugesprochen gekommen, die es uns ermöglicht, unser Leben weiterzuführen.“

Perez seinerseits hilft dem LWB dabei, die Folgen der Versehrtheit durch Landminen für das spirituelle Leben und den Alltag indigener Völker sowie die physischen und psychischen Schäden der Überlebenden besser zu verstehen. Der LWB hat die Methodik seiner Kampagne an die Bedürfnisse indigener Opfer angepasst und verwendet heute Bildmaterial, das auf ihre Denkweise ausgerichtet ist.

„Sie vermitteln uns Wissen und helfen uns auf vielerlei Weise“, betont Perez. „Die Teilnahme an ihren Angeboten hat mich sehr ermutigt und sie haben mich auch bei all meinen rechtlichen Verfahren begleitet.“

 

(Ein Beitrag von Nubia Rojas, Kommunikationsberaterin für LWB-Kolumbien, sowie Alexandra Riveros, Koordinatorin des Projekts zur Prävention, Versehrtenbegleitung und Kapazitätsentwicklung.Text redigiert und übersetzt vom LWB-Kommunikationsbüro.)