Ende der „dysfunktionalen europäischen Flüchtlingspolitik“ gefordert

Flüchtlinge in Ungarn, September 2015. Foto: Ujvári Sándor/MTI

Solidarität sollte Leitprinzip für Migration und Aufnahme von Flüchtlingen sein

GENF (LWI) – Zahlreiche globale und regionale religiöse Organisationen haben eine Befürwortungserklärung über die Situation der Migrierenden und Flüchtlinge in Europa veröffentlicht, die ihre Pflicht als Christen und Christinnen einfordert, „Fremde willkommen zu heißen“ und sich für eine Welt einsetzt, in der „wir gemeinsam menschlich werden.“

„Solidarität sollte das Leitprinzip für die Bewältigung der Migration und besonders die Aufnahme von Flüchtlingen sein“, heißt es in der Erklärung. „Wir erwarten von der EU, dass sie diesen von Angst und Abschreckung  getriebenen Diskurs und die daraus folgende Politik zurückweist und eine grundsatztreue Haltung und eine von Mitgefühl geleitete Praxis auf Basis der grundlegenden Rechte zeigt, auf denen die EU gegründet wurde.“

Die Organisationen haben die Erklärung im Vorfeld des neuen Migrationspaktes der EU-Kommission veröffentlicht, der am 23. September vorgelegt wurde.

„Unsere Organisationen repräsentieren Kirchen in ganz Europa und weltweit und ebenfalls kirchennahe Organisationen, die besonders Migrierende, Flüchtlinge und Asylsuchende betreuen“, heißt es in der Erklärung. „Als christliche Organisationen fühlen wir uns der unantastbaren Würde jedes nach Gottes Bild geschaffenen Menschen zutiefst verpflichtet; das gilt auch für die Konzepte des Gemeinwohls, der globalen Solidarität und der Förderung einer Gesellschaft, die den Fremden willkommen heißt, sich um die Menschen kümmert, die vor Gefahr fliehen, und die Verletzlichsten schützt.“

Die Erklärung bezieht sich auf den Großbrand im Flüchtlingslager Moria, der 13.000 Migrierende obdachlos gemacht hat.

„Die Ereignisse in der Nacht des 8. September 2020 im Flüchtlingslager Moria und während der nachfolgenden Tage haben wieder einmal den dysfunktionalen Zustand der europäischen Migrations- und Asylpolitik und das dadurch entstandene Leid gezeigt“, heißt es in der Erklärung, die ebenfalls hinweist auf „die Verzweiflung der Menschen, die Schutz suchen, die oft über Jahre zu einem Leben in unmenschlichen Zuständen gezwungen werden, auf den Ärger und die Frustrationen der lokalen Bevölkerung, die sich von Europa mit der Herausforderung der Aufnahme und Betreuung dieser Menschen allein gelassen fühlen, auf die derzeitige Antwort, die die Symptome eines größeren Problems anspricht, aber nicht die eigentliche Ursache, und auf die Reaktion der EU, die Mitgefühl, aber einen profunden Mangel an Verantwortlichkeit zeigt und keine wirkliche Verpflichtung erkennen lässt, diesen schutzbedürftigen Menschen, dem griechischen Staat und den örtlichen Aufnahmegemeinschaften zu helfen.“

COVID-19 habe die bereits unmenschlichen Lebensbedingungen für Migrierende weiter verschlimmert, so heißt es in der Erklärung. „COVID-19 und seine Folgen haben vielerorts die bereits schwierige Lage in diesen Ländern und für die Vertriebenen, die sie aufnehmen, noch weiter verschlimmert, sei es infolge unzureichender Hygienebedingungen in diesen Einrichtungen oder aufgrund der dramatisch gekürzten Lebensmittelrationen und Hilfsgüter, die ihnen zur Verfügung stehen“, so der Wortlaut der Erklärung. „Weitreichende Einschränkungen der Bewegungsfreiheit innerhalb von Ländern und auch grenzüberschreitend infolge der Pandemie haben die Möglichkeiten der Menschen, sich zu schützen, weiter reduziert. Darüber hinaus wurde die wirtschaftliche Existenz vieler Menschen, die geflüchtet sind, und auch die ihrer Aufnahmegemeinschaften durch die Lockdowns und ähnliche Maßnahmen gefährdet. Besonders hart davon betroffen waren die Menschen im informellen Sektor, mit unverhältnismäßig negativen Auswirkungen auf Frauen und ihre Lebensgrundlagen.“

Die religiösen Organisationen gehen eine Selbstverpflichtung ein, „sich für einen würdigen Umgang mit Flüchtlingen und Vertriebenen im Hinblick auf ihre Aufnahme, ihren Schutz und ihre Betreuung einzusetzen.“ In der Erklärung heißt es weiter, dass „Kirchen und kirchennahe Organisationen diese Menschen immer aus eigener Initiative mitfühlend aufgenommen und ihre soziale Integration sowie ein gerechtes und friedliches Zusammenleben gefördert haben, sowohl in Griechenland als auch in Europa und darüber hinaus. Das wird auch in Zukunft geschehen.“

Die Erklärung thematisiert auch den öffentlichen Diskurs, in dem „Migrierende und Flüchtlinge oft das Hassobjekt in den sozialen Medien sind und in den Medien verzerrt und entmenschlichend dargestellt werden“, und fordert die Medien auf, „die Menschenwürde von Migrierenden und Flüchtlingen zu respektieren, ausgewogen zu berichten, sich mit Migrierenden und Flüchtlingen auseinanderzusetzen und ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre eigenen Geschichten zu erzählen und dabei stereotype, negative Äußerungen zu vermeiden, ebenso allerdings auch Viktimisierung und grobe Vereinfachungen.“

„Wir sind ebenfalls der Überzeugung, dass die Kernwerte der Europäischen Union im Hinblick auf Menschenwürde und Respektierung von Menschenrechten in der täglichen Politik erkennbar werden müssen“, heißt es in der Erklärung.