Die Rolle des Glaubens beim Schutz von Migrantinnen

Auf der Flucht: Frauen und Kinder an der Grenze zwischen der Slowakei und der Ukraine nach dem russischen Einmarsch im Februar 2022. Foto: LWB/A. Hillert

Erkenntnisse und Erfahrungen bei der Verhütung von geschlechtsspezifischer Gewalt an Frauen auf der Flucht

(LWI) – Eine neue Webinar-Reihe mit dem Titel „Der Glaube beim Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt während der Zwangsmigration“ ging am 7. Dezember an den Start. Darin wird den Möglichkeiten für eine intensivere Einbindung von Glaubensakteuren bei der Verhinderung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen auf der Flucht nachgegangen.

Die Online-Veranstaltung ist Teil der 16-Tage-Kampagne zur Beendigung von Gewalt an Frauen und Mädchen. Ausgerichtet wird sie von mehreren Partneroganisationen, wie dem Lutherischen Weltbund, ACT Alliance, Religions for Peace, Islamic World Relief, Faith to Action Network, Side by Side Movement, der Universität von Birmingham und der Lernplattform „Joint Learning Initiative/Sexual Violence Research Initiative’s Religion and GBV Hub“.

Sandra Pertek ist Expertin für Gender und gesellschaftliche Entwicklung an der Universität von Birmingham im Vereinigten Königreich. Sie stellte eine Forschungsarbeit vor, die aufzeigt, dass der Glauben für viele Opfer von Gewalttaten ein wichtiger Bewältigungsmechanismus ist. Er könne jedoch auch einen Faktor in dem darstellen, was sie als „Verkettung von Geschlecht, Kultur und Religion“ bezeichnete, und Gewalt gegen Frauen und Mädchen erst möglich machen.

„Für viele Menschen, die alles andere verlieren, wenn sie flüchten, ist der Glaube ein mächtiges Hilfsmittel für die Resilienz.“ Sie beschreibt, wie Frauen Gebete, heilige Texte und andere überlieferte religiöse Bräuche nutzten, um den Sinn ihrer traumatischen Erfahrungen zu verstehen. Menschen in religiösen Leitungsämtern „können mächtige Akteure beim Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt sein“, fuhr sie fort, denn sie könnten Ansichten und Glaubensvorstellungen verändern, einer Stigmatisierung entgegenwirken, die Würde und die Rechte von Überlebenden bekräftigen und Gewalttaten in ihren Gemeinden verurteilen.

Florence Nassanga, Vorsitzende des Glaubensnetzwerks Ugandischer Frauen bei Religions for Peace, sprach über die Arbeit von Glaubensakteuren, die mit finanzieller Unterstützung durch die finnische Kirchenhilfsorganisation Finn Church Aid Überlebenden von geschlechtsspezifischer Gewalt im Flüchtlingsumsiedlungslager Bidi Bidi im Nordwesten Ugandas helfen. Zu den Dienstleistungen gehören Traumaheilung und medizinische Weitervermittlung, humanitärer Beistand und das Einsetzen für gerechte Umsiedlungsbedingungen. „Personen in religiösen Ämtern tun eine Menge“, sagte sie, „und die Menschen hören ihnen zu; sie spielen also eine große Rolle.“

Wirtschaftliche Handlungsfähigkeit für Frauen

Christian Wolff, Verantwortlicher für das Migrations- und Vertriebenenprogramm bei Act Alliance, teilte seine Erfahrungen aus Mittelamerika, vor allem in Honduras und El Salvador, wo die Netzwerkmitglieder sich bemühen, die Leistungen von kirchlichen Amtsträgerinnen und -trägern bei der Behandlung von geschlechtsspezifischer Gewalt zu verstärken. Voraussetzung für eine erfolgreiche Notfallhilfe sei die Fähigkeit, die Sprache vor Ort zu sprechen, mit den nationalen und örtlichen Regierungsstellen in Verbindung zu treten, damit Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, und die Schaffung von Arbeitsmöglichkeiten, damit die Frauen wirtschaftliche Handlungsfähigkeit erhalten.

Die Soziologieprofessorin Anita Isakov von der Belgrader Universität sprach über ihre Arbeit für Save the Children, bei der es um die Erforschung der Notlage unbegleiteter Minderjähriger auf den Balkanflüchtlingsrouten ging. „Religion ist ein wichtiger Resilienzfaktor für diese Kinder, die so viel Gewalt erlebt haben.“ Mädchen „benutzen zum Überleben oft eine soziale Mimikry-Strategie“; sie machen falsche Angaben über ihren Namen, ihren Glauben und andere personenbezogene Daten, damit sie in einer neuen Gemeinde akzeptiert werden. Isakov betonte, man müsse mit verschiedenen Glaubensakteuren zusammenarbeiten, um Kindern und ihren Familien eine an den Traumata orientierte Unterstützung zukommen zu lassen.

Sana Basim, Programmchefin für Mission East im Irak, sprach über ihre Erfahrungen aus der engen Zusammenarbeit mit jesidischen Frauen, die unter dem IS-Terroregime in der Region gelitten haben. „Der Glaube ist noch immer unerschlossenes Potential, eine verpasste Gelegenheit, nicht nur, um auf die Bedürfnisse der Überlebenden zu reagieren, sondern auch um die Notfallhilfe durch die Gastgebergemeinschaften zu stärken.“ Sie wies darauf hin, dass nicht nur die Opfer selbst traumatisiert seien, sondern auch die Gemeinden, die oftmals die Frauen und deren in Folge von Vergewaltigung geborenen Kinder ablehnten. Menschen in kirchlichen Leitungsämtern spielten eine wichtige Rolle bei der Überwindung von Stigmatisierung, indem sie die Rechte und die Würde dieser Frauen und Kinder betonten.

Mit Hinweis auf die allumfassende Relevanz des Webinars bemerkte die Mitarbeitende des LWB-Weltdienstes mit Schwerpunkt Gendergerechtigkeit, Caroline Tveoy, dass der LWB fortwährend danach schaut, „wie wir unsere Arbeit im Bereich geschlechtsspezifische Gewalt verbessern können. Angesichts der besonderen Verletzlichkeit von Frauen und Mädchen und ihrem hohen Anteil an den heutigen Zwangsmigrierenden ist das Thema relevanter denn je.“

„Anknüpfend an die 2018 von LWB und Islamic Relief Worldwide veröffentlichte, vielbeachtete Publikation ‚A Faith-Sensitive Approach in Humanitarian Response: Guidance on Mental Health and Psychosocial Programming‘ (Leitlinien für religionssensible humanitäre Hilfe), ist die Verbindung zwischen Zwangsmigration, geschlechtsspezifischer Gewalt, Glauben und religiösen Ressourcen ein Thema für weitere Untersuchungen.“

LWB/P. Hitchen. Deutsche Übersetzung: Tonello-Netzwerk, Redaktion: LWB/A. Weyermüller