Deutschland: Mit Herz und Verstand das Notwendige für die Menschen der Ukraine tun

Felix Kalbe (Mitte) bringt als freiwilliger Fahrer medizinische Hilfsgüter nach Lwiw in der Ukraine. Foto: privat

Interview mit Felix Kalbe, freiwilliger Transportfahrer für Hilfsgüter

ALTENBURG, Deutschland/GENF (LWI) – „Ich habe nicht lange gezögert. Menschen in der Ukraine brauchen Hilfe,“ sagt Felix Kalbe. Der siebenundzwanzigjährige war lange als Jugendvertreter in der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland engagiert und nun für verschiedene gemeinnützige Organisationen tätig. Aktuell ist er freiwilliger Helfer bei der Evangelischen Lukas-Stiftung Altenburg, die in Lwiw Kranken und Verletzten hilft.

Etwa zehn Autostunden liegen zwischen Altenburg im ostdeutschen Thüringen und Lwiw, der Metropole im Westen der Ukraine. Seit einiger Zeit fährt Kalbe über das Wochenende mit einem kleinen Team in die Ukraine, um medizinische Güter und anderes Material ins Sheptysky Hospital zu bringen.

Die Verbindung zwischen der Evangelischen Lukas-Stiftung Altenburg und dem Sheptysky Hospital besteht bereits seit einigen Jahren. Jetzt ist die Verbindung durch den Krieg so eng wie noch nie zuvor.

Was hat dich dazu motiviert, die Transportfahrten nach Lwiw zu unternehmen?

Ich hatte nicht viel Zeit zu überlegen: An einem Nachmittag, ich saß gerade beim Kaffeetrinken, klingelte mein Telefon: Freunde aus der Evangelischen Lukas-Stiftung Altenburg haben mich gefragt, ob ich am nächsten Tag mit nach Lwiw fahren würde. Ein Fahrer war Corona-bedingt ausgefallen.

Ich habe nicht lange gezögert. Menschen vor Ort in der Ukraine brauchen Hilfe. Mit unseren Transporten können wir diese aktiv leisten. Mit unserer Hilfe konnte in kürzester Zeit, ein Operationssaal eingerichtet werden. Nun arbeiten wir an der Intensivstation und einer Kinderpalliativstation.

Es ist für mich gelebte Nächstenliebe das zu tun, was ich tun kann. Ich selbst würde mich niemals mit Waffen in die Ukraine begeben. Aber den Menschen muss geholfen werden. Und das ist das, was ich tun kann.

Wie oft bist du die Strecke von Altenburg nach Lwiw inzwischen gefahren?

Ich bin die Strecke Altenburg/Lwiw mittlerweile drei Mal gefahren. Einmal haben wir uns zusätzlich Hilfsgüter an die polnisch-ukrainische Grenze bringen lassen und sind mit unseren Transportern ein weiteres Mal in die Ukraine gefahren.

Was wird in Lwiw benötigt und woher kommen die Güter, die du transportierst?

Die Hilfsgüter kommen von der Evangelischen Lukas-Stiftung, der Handwerkskammer Leipzig, die die Baumaterialien für den OP-Saal gespendet hat, und zahlreichen Vereinen und Einrichtungen in ganz Thüringen.

Bei allem, was du bisher bei deinen Einsätzen gesehen und erlebt hast: Gibt es eine Situation, die dich besonders berührt hat?

Am vergangenen Wochenende haben wir zwei Familien, die aus Kiew kommen, von Lwiw mit nach Deutschland genommen. Familie heißt in diesem Fall nur Frauen mit Kindern, da die Männer das Land nicht verlassen dürfen. Ein Kind, das wir transportiert haben, ist schwerkrank und musste liegend transportiert werden.

Die Anfrage, ob wir den Menschen bei ihrer Flucht helfen können, hat sich spontan ergeben und wir mussten einen Tag vor unserer Abfahrt einen Rettungswagen für den Transport organisieren – den wir auch Gott sei Dank über den Arbeiter-Samariterbund in Sömmerda in Thüringen gefunden haben. Der einzige Nachteil: Der Rettungswagen darf nicht in die Ukraine fahren. Also sind wir in Lwiw mit einem ukrainischen Rettungswagen und einem Kleinbus gestartet.

Es war ein herzzerreißender Abschied, als der Vater seiner Frau und seinen Kindern Lebwohl sagen musste, ohne zu wissen, ob sich die Familie jemals wiedersehen wird. Mit Blaulicht ging es dann im Konvoi durch die Ukraine zur Grenze, wo uns der deutsche Rettungswagen schon erwartete.

Auf unserem Weg durch Polen erreichte uns dann eine Video-Nachricht auf WhatsApp. Der zurückgebliebene Vater bedankte sich noch einmal mit Tränen in den Augen, dass wir seine Familie aus dem Krieg geholt haben. Seitdem wir losgefahren waren, herrschte Luftalarm in Lwiw und alle saßen im Bunker fest.

Wie hast du insgesamt die aktuelle Lage in Lwiw und unterwegs erlebt? Hast du in den letzten Wochen Veränderungen festgestellt?

Wir haben unsere Fahrtroute inzwischen verändert und fahren nicht mehr über den Haupt-Grenzübergang bei Przemyśl, sondern durch die Trans-Karparten. Dadurch sind wir zwar eine Stunde länger in der Ukraine unterwegs, sparen uns aber mehrere Stunden an der Grenze – und sehen mehr vom Land. Die Menschen in der Ukraine sind aufgeschlossen, dankbar und überaus freundlich.

Trotz aller Entbehrungen im Krieg und der ständigen Anspannung durch die aufheulenden Sirenen, kommen Menschen auf uns zu, laden uns auf einen Kaffee ein oder winken unseren Transportern aufgeregt und dankbar zu. Dennoch hört man immer wieder, dass russische Spione verhaftet werden, die Kontrollen im Land zunehmen und intensiviert werden. Am Abend, als wir das letzte Mal nach Lwiw gefahren sind, wurden wir so oft, wie noch nie gestoppt. Wenige Stunden vorher waren russische Bomben in der Stadt eingeschlagen.

Wäre es nicht einfacher mit einem großen LKW zu fahren statt mit einem Kleintransporter?

Mit den Kleintransportern sind wir einfach viel schneller als mit LKWs, da wir auf die Priority-Lane an der Grenze fahren können und dadurch keine 12-18 Stunden an der Grenze warten müssen. Mit Insulin und anderen, kühlpflichtigen, dringend benötigten Medikamenten brauchen wir unter vier Stunden an den Grenzübergängen.

Für uns ist ein großer LKW nicht einfach zu handhaben. Aber wir haben mittlerweile eine Spedition gefunden, die sich genau darauf spezialisiert hat und sogar gemeinnützig ist. Eine Berliner Modedesignerin hat diese aufgebaut und fährt für Spritkosten in die Ukraine. Sie beliefert dort Standorte, die wir ihr nennen. Eine große Ladung Hilfsgüter, also Medikamente, Baumaterialien und Ausstattung für Intensiv- und Palliativstationen, für das Sheptysky-Hospital in Lwiw ist jetzt in Planung.

Was bedeutet es in der aktuellen Situation für dich, Teil einer weltweiten Kirchengemeinschaft zu sein?

Das Krankenhaus in Lwiw ist ein kirchliches Krankenhaus. Wenn wir in Lwiw übernachten, übernachten wir in einem griechisch-katholischen Kloster. Gerade im Krieg zählt nicht mehr die Konfession oder das Gesangbuch. Es zählt der Christ, es zählt der Mensch. Es ist ein Akt der Nächstenliebe zu helfen – und zu beten. Beten spendet Halt und Sicherheit. Auf der Fahrt, in Lwiw und auch zu Hause. Das Gebet ist unsere stärkste Waffe, die wir dieser sinnlosen Gewalt entgegensetzen können.

Stimmen aus der Kirchengemeinschaft:

Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine weltweite Gemeinschaft, deren Mitglieder sich gemeinsam für das Werk und die Liebe Christi in der Welt einsetzen. In dieser Reihe präsentieren wir Kirchenleitende und Mitarbeitende, die über aktuelle Themen sprechen und Ideen entwickeln, wie Frieden und Gerechtigkeit in der Welt geschaffen werden und die Kirchen und die Gemeinschaft in ihrem Glauben und ihrem Engagement wachsen können.

Von LWB/A. Weyermüller