Deutschland: Die Rechte von Flüchtlingen stärken

Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm im Gespräch mit Flüchtlingen in Cagliari, Sardinien. Foto: epd/Thomas Lohnes

Interview mit Heinrich Bedford-Strohm, EKD-Ratsvorsitzender und bayerischer Landesbischof

MÜNCHEN, Deutschland/GENF (LWI) – „Europa verliert seine Seele!“ Wenn es um die Situation der Flüchtlinge im Mittelmeer geht, findet Heinrich Bedford-Strohm klare Worte. Der Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist einer der bekanntesten Befürworter der zivilen Seenotrettung im Mittelmeer. Er unterstützt das kirchliche Bündnis "Gemeinsam retten – United for Rescue", zur Entsendung eines Rettungsschiffs, und hat sich immer wieder öffentlich für die Rechte von Flüchtlingen und Migranten ausgesprochen.

Im Interview zum Weltflüchtlingstag spricht er über die Seenotrettung, den Umgang mit Kritikern in der Kirche, und Wünsche an die Politik zur Bewältigung der globalen Flüchtlingskrise.

In den letzten Wochen wurde das Flüchtlingsthema stark von der Coronakrise verdrängt...

Im Vordergrund stand besonders, wie wir als Kirche an der Seite derer hier stehen können, für die die Corona-Krise eine besondere Erschütterung ihrer Existenz bedeutete – Menschen, die ihre wirtschaftliche Existenz oder einen Angehörigen verloren haben, ohne angemessen Abschied nehmen zu können. 

Man darf den Beistand für die einen nicht gegen die Solidarität mit den anderen ausspielen. Aber es ist richtig, dass es notwendig war, immer wieder auf die katastrophalen Folgen der Pandemie in den Flüchtlingslagern dieser Welt hinzuweisen und auch auf die Gefahren beengter Unterbringung in den Flüchtlingsunterkünften hier. 

Wie haben Sie den kirchlichen Dienst an Flüchtlingen während der Schließungen und Versammlungsbeschränkung aufrechterhalten?

Unsere haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden in der Flüchtlingshilfe sind auch in den letzten Monaten mit den Geflüchteten hier in Kontakt geblieben. Wir haben als Kirche Notfonds für die Diakonie beschlossen, die besonders verletzlichen Gruppen zugutekommen sollen.

Sie haben sich für ein Rettungsschiff im Mittelmeer stark gemacht. Das Schiff konnte wegen des Coronavirus nicht auslaufen. Wann geht es auf See?

Die Seawatch 4 war kurz vor den Corona-Beschränkungen nach Spanien in die Werft gefahren, um für den Rettungseinsatz im Mittelmeer umgebaut zu werden. Die Arbeiten mussten wegen der strengen Restriktionen in Spanien unterbrochen werden. Inzwischen ist der Umbau wieder aufgenommen worden. Wir hoffen, dass das Schiff im Sommer endlich zum Rettungseinsatz auslaufen kann.

Sie sind sehr aktiv in den sozialen Medien. Verfolgen sie, was im Mittelmeer passiert? 

Ja, immer wieder bekomme ich über die Twittermeldungen von alarmphone zeitnah mit, wenn Menschen im Mittelmeer in unmittelbarer Gefahr sind. Ich habe das auch schon genutzt, um öffentlich Hilfe anzumahnen.

Wie gehen Sie damit um, wenn Sie von Notsituationen hören, und nicht helfen können? 

Das belastet mich sehr. Im Hinblick auf das Mittelmeer ist das einer der wichtigsten Gründe, warum ich mich für die Unterstützung der zivilen Seenotrettung einsetze. Aber immer wieder kämpfe ich mit dem Gefühl, Menschen in Not etwas schuldig geblieben zu sein. Das kann ich dann nur in Gottes Hand legen.

Für dieses Engagement haben Sie viel Kritik einstecken müssen. Wie verbinden Sie das Engagement für Flüchtlinge mit der Seelsorge für die Menschen in der Kirche, die Flüchtlingen ablehnend gegenüberstehen?

Das entscheidende Stichwort ist hier der Dialog. Immer dann, wenn wir Gelegenheit zum direkten Gespräch haben, mache ich sehr gute Erfahrungen. Wenn Menschen etwa Angst haben, dass uns durch die Seenotrettung große Zahlen von Flüchtlingen überrollen, weise ich auf die vergleichsweise geringen Zahlen hin. Vor allem aber frage ich: Wollen Sie die Menschen wirklich einfach ertrinken lassen? Normalerweise beantwortet niemand diese Frage mit Ja. 

Warum sollten sich Christinnen und Christen für Flüchtlinge engagieren?

Das Doppelgebot der Liebe, das Jesus uns mit auf den Weg gegeben hat, bindet Gottesliebe und Nächstenliebe untrennbar aneinander. Und das Liebesgebot gilt für den Nachbarn genauso wie für den fernen Nächsten. Deswegen ist es kein Zufall, dass Jesus in seiner Vision vom großen Weltgericht in Matthäus 25 sagt: Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich aufgenommen. Es ist unglaublich, dass Jesus, in dem uns Gott selbst begegnet, sich in so direkter Weise mit dem Fremden identifiziert, der um Aufnahme bittet. Das kann keinen Christen kaltlassen.

Seenotrettung, Notunterkünfte, Beratungsangebote: Engagiert sich die Kirche, weil die Politik versagt?

Das würde ich so nicht sagen. Denn wir arbeiten ja um des Dienstes an den Geflüchteten willen an vielen Stellen mit dem Staat zusammen. In der Asylsozialarbeit etwa finanziert der Staat den größeren Anteil.  Aber natürlich gibt es auch Punkte, an denen wir das Versagen des Staates kompensieren müssen. Es ist für mich ein Skandal, dass die europäischen Staaten die Seenotrettung komplett eingestellt haben. Die zivilen Seenotretter sind die einzigen, die überhaupt noch retten. 

Welche Schritte würden Sie sich von den Regierungen bezüglich der globalen Flüchtlingskrise wünschen?

Das wichtigste ist die Bekämpfung der Fluchtursachen. Dazu brauchen wir ein gerechteres Weltwirtschaftssystem, aber auch beherzte Maßnahmen gegen den Klimawandel, der schon jetzt Menschen auf der Südhalbkugel in die Flucht treibt. Im Hinblick auf die fast 80 Millionen Menschen, die gegenwärtig auf der Flucht sind, wünsche ich mir vor allem, dass alle Staaten sich an der Solidarität mit ihnen beteiligen. 

Es beeindruckt mich immer wieder, wie arme Länder auf dem afrikanischen Kontinent Millionen Flüchtlinge aufnehmen. Wenn ich dann sehe, wie im reichen Europa manchmal um die Aufnahme weniger Tausend Menschen gerungen wird, schäme ich mich für meinen Kontinent. Dass es noch immer nicht gelungen ist, einen verlässlichen europäischen Verteilmechanismus für im Mittelmeer aus Seenot gerettete Menschen zu etablieren, ist ein Armutszeugnis. Da ist kaum noch etwas zu spüren von den christlichen Wurzeln Europas, obwohl man sie so gerne vor sich herträgt.

Ihre Landeskirche ist am LWB-Projekt „Symbols of Hope“ in einigen Ländern Zentralafrikas beteiligt. Es soll jungen Menschen Alternativen zur irregulären Migration aufzeigen. Welchen besonderen Wert sehen Sie im Engagement in derartigen Projekten?

Ich finde das Projekt wirklich vorbildlich. Denn es ist immer der bessere Weg, wenn Menschen in ihren Heimatländern Perspektiven aufgezeigt bekommen, anstatt sich auf den lebensgefährlichen Weg durch die Wüste zu machen und am Ende in libyschen Lagern zu enden, in denen die Menschenrechte mit Füßen getreten werden. 

Die Information über solche Projekte ist auch wichtig gegenüber den Kritikern hierzulande, die meinen, wir hätten uns zur Aufgabe gemacht, möglichst viele Menschen aus Afrika hierher nach Europa zu bringen. 

Es wird oft darüber gesprochen, welche Belastungen Flüchtlinge für die Aufnahmegesellschaft bedeuten. Wo sehen Sie eine Bereicherung?

Immer dann, wenn Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen sich begegnen, vielleicht sogar Freunde werden, ist diese Frage beantwortet.

 

Stimmen aus der Kirchengemeinschaft:

Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine weltweite Gemeinschaft, deren Mitglieder sich gemeinsam für das Werk und die Liebe Christi in der Welt einsetzen. In dieser Reihe präsentieren wir Kirchenleitende und Mitarbeitende, die über aktuelle Themen sprechen und Ideen entwickeln, wie Frieden und Gerechtigkeit in der Welt geschaffen werden und die Kirchen und die Gemeinschaft in ihrem Glauben und ihrem Engagement wachsen können.