Der Traum von der Freiheit

Basanti Chaudhary (r.) nimmt den N-Peace Award entgegen.

Ehemaliges Hausmädchen kämpft gegen Schuldknechtschaft

KAILALI, Nepal/GENF (LWI) – Im Distrikt Kailali im Westen Nepals klingelte bei Basanti Chaudhary (32) an einem nebligen Novembermorgen das Telefon. Ihr Schwager informierte sie, dass ihr in Anerkennung ihres Engagements gegen das traditionelle System der Schuldknechtschaft in Nepal der N-Peace Award verliehen worden sei. Chaudhary nahm die Nachricht zur Kenntnis – und machte sich wieder an die Arbeit: Sie besuchte eine Familie, die in der Vergangenheit bereits von Schuldknechtschaft betroffen gewesen war, und überzeugte die Eltern, ihre Tochter nicht als Hausmädchen zu verdingen.

Der Lutherische Weltbund (LWB) engagiert sich seit 35 Jahren gegen das nepalesische System der Schuldknechtschaft. Kamaiya (wörtlich: schwere Arbeit verrichtender Knecht) wurde offiziell im Jahr 2000 abgeschafft, Kamlari (die weibliche Form des Wortes) erst 2013 verboten. Praktiziert wird das seit Jahrhunderten bestehende System jedoch weiterhin. Betroffen sind vor allem eine Reihe ethnischer Minderheiten in Nepal sowie Angehörige der untersten Kaste des Hinduismus (Dalits).

Der N-Peace Award wurde 2011 vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen geschaffen, um Friedensengagierte in Asien zu würdigen. Das N-Peace-Netzwerk unterstützt Frauen, die von der lokalen bis zur nationalen Ebene bei Konfliktprävention und -lösung sowie Friedensförderung Führungsrollen übernehmen. Basanti Chaudhary wurde der Preis im November 2016 verliehen, dafür, dass sie Kampagnen gegen die Schuldknechtschaft initiiert, ehemalige von Schuldknechtschaft Betroffene organisiert und sie unterstützt bei der Wiedereingliederung und beim Aufbau einer Existenz. In diesem Bemühen steht ihr LWB-Nepal zur Seite.

Eine Sechsjährige wird Hausmädchen

Chaudhary selbst ist ehemalige Kamlari. Sie wurde in dem Dorf Basauti geboren, ihre Familie verließ aber ihr angestammtes Land, als das Mädchen drei Jahre alt war. Grund dafür waren Schulden, die die Familie in einem anderen Dorf abarbeiten musste. Für ihre Arbeit erhielten die Eltern Lebensmittel, eine Unterkunft und jährlich 300 Kilo Reis. Davon konnte die Familie nicht leben und verdingte daher Chaudhary im selben Dorf als Kamlari als sie sechs Jahre alt war.

Armut ist der Hauptgrund dafür, dass Familien sich selbst und ihre Kinder verkaufen müssen. Mit der Feld-, Garten- und Hausarbeit bei ihrer Herrschaft arbeiten sie ihre Schulden ab. „Der Dienst als Kamlari bedeutet, dass ich die Familie des Hausherrn bei allen Hausarbeiten unterstützen musste“, erinnert sich Chaudhary an ihre Kindheit. „Ich war ja noch ein kleines Mädchen, also musste ich am Anfang einen Säugling versorgen.“ Später musste sie weitere Arbeiten übernehmen – etwa das Vieh füttern und für die Familie kochen.

Die Arbeitsbedingungen für Kamlaris sind nicht überall gleich. Aber gerade diejenigen, die sehr jung sind und sich in dieser rechtlosen Position wiederfinden, werden am meisten ausgebeutet. Häufig arbeiteten die Mädchen und Frauen für Kost und Logis, ernährten sich von Übriggebliebenem und müssen auf dem Boden schlafen. Schulbildung ist ihnen verwehrt und sie sind Misshandlungen und Missbrauch schutzlos ausgeliefert. Manchmal erhalten ihre Familien etwas Geld, aber nicht selten wurden Mädchen verkauft, weil ihre Eltern sie nicht ernähren können.

Vom Hausmädchen zur Aktivistin

Chaudhary durfte gemeinsam mit dem Sohn der Familie, bei der sie im Dienst war, zur Schule gehen. „Ich war jedes Jahr unter den Klassenbesten, der Sohn meines Didi Bhinaju aber war nur ein durchschnittlicher Schüler.“ So erklärt Chaudhary, warum ihre Herrschaft sie ermutigte, weiter zur Schule zu gehen. „Meine Eltern haben nicht einmal begriffen, was dieser Erfolg bedeutet.“

Mit zwölf kehrte sie zu ihrer Familie zurück, die in einer Notunterkunft hauste. Sie waren zwar aus der Schuldknechtschaft befreit worden, aber als ehemaligen Kamaiyas besaßen sie weder Land noch verfügten sie über eine andere Einkommensquelle. Die von der nepalesischen Regierung zugesagte Wiedereingliederungshilfe – in Form einer Zuweisung von Land und etwas Geld, um sich ein Haus bauen zu können – lief nur schleppend an.

LWB-Nepal unterstützt ehemals von Schuldknechtschaft Betroffene dabei, ihre Rechte einzufordern und wegen einer Entschädigung bei den Behörden vorstellig zu werden. Chaudhary trat einer Frauengruppe bei, die der LWB gemeinsam mit seiner Partnerorganisation vor Ort, Kamaiya Pratha Ulmulan Samaj (KPUS, Gesellschaft zur Beseitigung des Kamaiya-Systems) gegründet hatte. Sie ging mithilfe eines LWB-Stipendiums weiter zur Schule. Schon bald leitete sie selbst Workshops und konzipierte Kampagnen. 2012 wurde sie zur Vorsitzenden von KPUS gewählt und engagiert sich seither in dieser Funktion für die Rechte ehemals von Schuldknechtschaft Betroffener und ihre soziale Wiedereingliederung.

„Quelle der Inspiration“

„Sie ist für eine ganze Reihe ehemals von Schuldknechtschaft Betroffener in Kailali und anderen angrenzenden Distrikten zur Quelle der Inspiration geworden“, betonen ihre Kolleginnen und Kollegen.

Aktuell hat KPUS 3.400 Mitglieder und engagiert sich im Zusammenhang mit verschiedenen Problemen, von denen ehemalige Kamaiyas betroffen sind. Dabei geht es zum Beispiel um bisher nicht geleistete Wiedereingliederung, häusliche Gewalt und Kindesmisshandlung. Die Betroffenen sind heute zwar frei und haben einen Anspruch auf die Bereitstellung von Land. Nach wie vor ist ihnen jedoch der Zugang zum Fonds, aus dem sie den Bau neuer Häuser finanzieren sollen, sowie zum nötigen Bauholz verwehrt.

Über 27.000 ehemalige Kamaiyas und 13.000 ehemalige Kamlaris im Distrikt warten bis heute auf ihre Wiedereingliederung. Unter dem Vorsitz Chaudharys hat KPUS bisher 200 weibliche Gewaltopfer mit Initiativen zur Schaffung von Erwerbsmöglichkeiten unterstützt. Ihre Rechte einzufordern hat sich Chaudhary zur obersten Priorität gemacht. „Die Menschen werden hauptsächlich aufgrund der sozioökonomischen und ethnischen Diskriminierung in die Schuldknechtschaft gezwungen“, betonte sie anlässlich der Verleihung des N-Peace Awards.

„Ich bin der festen Überzeugung, dass die politische Emanzipation von Frauen notwendig ist, damit sie sich wirkungsvoll in den Prozess der Friedensförderung einbringen können.“

Ein Beitrag von Umesh Pokharel/LWB-Nepal, redaktionell bearbeitet und übersetzt vom LWB-Kommunikationsbüro.