Der Fluch von Hass und Aberglauben

Rita Lama (r.) bei ihrem Haus. Beschuldigungen von Hexerei trieben sie fast in den Tod. Fotos: LWB/U. Pokharel

Eine vom LWB unterstützte Frauenkooperative kämpft gegen geschlechtsspezifische Gewalt in Nepal

LALITPUR, Nepal /GENF (LWI) – Wenn Nachbarn sie heute beschimpfen, drückt Rita Lama auf ihrem Handy den Aufnahmeknopf. „Solche Aufnahmen sind Beweismaterial, falls ich einen Fall vor Gericht durchfechten muss”, sagt sie. Lama hat in ihrem Heimatdorf Devichour in Nepal zahlreiche Arten geschlechtsspezifischer Gewalt erlitten. Durch eine örtliche Kooperative hat ihr der Lutherische Weltbund (LWB) gezeigt, wie sie sich schützen kann.

Nach offiziellen Statistiken wird die Hälfte aller Frauen in Nepal irgendwann in ihrem Leben mit Gewalt konfrontiert, und jede vierte Frau hat in den vergangenen 12 Monaten unter Gewalt gelitten. Am häufigsten wird über seelische Gewalt berichtet (40 Prozent), gefolgt von körperlicher Gewalt (27 Prozent) und sexueller Gewalt (15 Prozent).

Rita Lama (im Hintergrund sieht man ihre Gemeinde Devichour) – eine starke Frau, die Diskriminierung, Aberglauben und Gewalt ausgesetzt war.

Frühe Heirat und Hexenjagd   

Lama war noch ein Teenager, als sie heiratete. Ihr Ehemann war ein guter Freund. Die Heirat war für sie unter anderem eine Flucht vor dem Leben mit ihrem Vater, der Alkoholiker war. „Ich war erst 16 Jahre alt, als ich von zuhause weglief, um ihn zu heiraten“, erinnert sich Lama. Das Eheglück dauerte jedoch nur so lange, bis sie zwei kleine Mädchen zur Welt brachte. Ihr Ehemann verhielt sich ihr und den Kindern gegenüber gleichgültig, quälte sie psychisch und schlug sie.

Sie verließ ihren Mann, aber die Gewalt hörte nicht auf. Schließlich ging Lama zur Polizei. Auf der Polizeiwache entschuldigte sich ihr Mann und ging bald darauf ins Ausland, um nach Arbeit zu suchen. Er ist jetzt schon seit Jahren fort und schickt seiner Familie Geld – das ist in Nepal nicht ungewöhnlich. Nachdem er fortgegangen war, begannen die Nachbarn, Lama der Hexerei zu beschuldigen.

Hexenverfolgungen sind eine weit verbreitete Form geschlechtsspezifischer Gewalt in Nepal. In einer Gesellschaft, die stark spirituell geprägt ist, meinen manche Menschen, dass Unglück durch Geister und Zaubersprüche verursacht wird. Entsprechend suchen sie nach Schuldigen für das Heraufbeschwören solcher Geister. Schutzlose Frauen werden hierbei oft zu Zielscheiben: Witwen oder Frauen, deren Männer fort sind, ältere Frauen oder solche, die sehr arm sind, einer niederen Kaste angehören oder die traditionelle patriarchalische Gesellschaft in Frage stellen.

Das Dorf Devichour, fünf Autostunden von Kathmandu entfernt. Die Menschen dort leben von Landwirtschaft, Viehzucht und kleinem Handwerk.

Der Hexerei bezichtigt zu werden, kann folgenschwer sein. Lama will nicht im Einzelnen über die Beschimpfungen sprechen, denen sie ausgesetzt war. „Wenn ich an ihren Häusern vorbeiging, haben die Leute ihre Kinder hereingeholt und ihnen gesagt, dass ich eine Hexe bin“, sagt sie und weint beim Gedanken daran.

Menschenrechtsbeobachter berichten, dass Frauen, die als Hexen verschrien sind, oft körperlich schwer misshandelt oder sogar umgebracht werden. Oft kommen die Täter aus dem Familienkreis. In vielen Fällen wagen es die Opfer nicht, zur Polizei zu gehen. „Ich habe darüber nachgedacht mich umzubringen, habe es aber aus Liebe zu meinen Kindern nicht getan“, sagt Lama.

Unterstützung von den „Didis“

Lamas Situation fiel Subhadra Bajagain auf, der Vorsitzenden der Shree-Devi-Frauenkooperative in Devichour. Mit der Unterstützung von SOLVE Nepal, einem örtlichen Partner des LWB Nepal, hilft die Kooperative Frauen in schwierigen Situationen und engagiert sich gegen geschlechtsspezifische Gewalt.

Subhadra Bajagain, Vorsitzende der Shree-Devi-Frauenkooperative in Devichour und Menschenrechtsaktivistin, hat Rita Lama bei ihrem Kampf gegen Diskriminierung und Beschimpfungen unterstützt.

Die Frauen aus der Kooperative waren die ersten seit langer Zeit, die normal mit Lama redeten. Sie machten die Nachbarn darauf aufmerksam, dass ihr Verhalten rechtliche Konsequenzen haben könne, und informierten Lama über ihre Rechte.

2014 hatte das Ministerium für Frauen, Kinder und Wohlfahrt von Nepal ein „Hexerei-Gesetz” erlassen, um – wie es auf der Webseite des Ministeriums heißt – „Frauen zu stärken, insbesondere jene, die unter Armut leiden (…) und sozial schwach oder in sonstiger Weise benachteiligt sind.“ Täter können jetzt Geldstrafen von bis zu 1.050 USD und Gefängnisstrafen von bis zu 10 Jahren erhalten.

Das Wissen um diesen gesetzlichen Rahmen gab Lama schließlich die Mittel, sich zu wehren. „2015 haben die Nachbarn meine Töchter wüst beschimpft und ihnen vorgeworfen, Hexerei gelernt zu haben“, sagt sie. „Ich war entrüstet und habe mich an die nahegelegene Polizeistation gewandt.“ Eine Tonaufzeichnung des Vorfalls diente als Tatbeweis. Die Nachbarn erhielten daraufhin eine offizielle Warnung und mussten unterschreiben, dass sie in Zukunft keine derartige Gewalt mehr anwenden würden.

Seither lassen die Leute im Dorf Lama in Ruhe. „Sie reden immer noch hinter meinem Rücken, aber es ist mir egal. Die Didis (Schwestern) von der Frauenkooperative unterstützen mich“, sagt sie.

Ein neues Leben

In Anbetracht der Schutzlosigkeit von Lama und ihrer Familie hat die Kooperative ihr ein Darlehen von 30.000 nepalesischen Rupien gewährt (300 USD), die Lama in die Landwirtschaft investiert hat. „Sie zahlt das Darlehen pünktlich zurück”, sagt die Vorsitzende Subhadra.

Mit Unterstützung des LWB war die Kooperative in der Lage, in Devichour wie auch in sieben benachbarten Dörfern Erwerbsquellen zu schaffen und Konflikte zu schlichten. „Der LWB hat das Geld zur Gründung der Kooperative bereitgestellt, er hat sie durch unterschiedliche Arten von Schulungen gefördert und die Verbindung zu Banken und zum Nepalesischen Verband der Spar- und Kreditgenossenschaften (Nepal Federation of Saving and Credit Cooperatives ) hergestellt“, sagt Nabin  Dahal, Projektmanager für LWB Nepal.

Rita Lama meint, dass Frauen bereit sein müssen, sich zu verteidigen. „Selbst eigene Familienmitglieder können Täter sein. Mir ist jetzt klargeworden, dass ich beim Kampf gegen Diskriminierung nicht allein bin. Organisationen wie der LWB Nepal und die nepalesische Polizei sind dazu da, mich zu beschützen.“

Fotos und Artikel von Umesh Pokharel vom LWB Nepal. Redaktion und Übersetzung: Kommunikationsbüro des LWB.

Der LWB ist stolz darauf, Teil eines religiösen Bündnisses zu sein, das es sich zum Ziel gesetzt hat, Gewalt gegen Mädchen und junge Frauen zu beenden. Wir sind davon überzeugt, dass Aktivismus zur Förderung gleichberechtigter und respektvoller Beziehungen eine gute Neuigkeit ist, die das ganze Jahr lang gilt, wo immer wir uns befinden und wer immer wir sind.