COVID-19 hat Sekundärauswirkungen auf geflüchtete Frauen und Kinder

Eine Frau im Flüchtlingslager Kakuma in Kenia wäscht ihren Kindern die Hände. Der LWB hat die Hygiene-Erziehung verstärkt, um eine Ausbreitung von COVID-19 im Lager zu verhindern. Foto: LWB/P. Omagwa

Kenia: Genderspezifische Analyse zeigt wachsende Ungleichheit

NAIROBI, Kenia/GENF (LWI) – Steigende Arbeitsbelastung von Frauen, mehr Gewalt an Frauen und Kindern sowie die Vernachlässigung von Menschen mit Behinderungen: Das sind nach Erkenntnissen einer Studie des Länderprogramms des Lutherischen Weltbundes (LWB) in Kenia, Dschibuti und Somalia die wichtigsten Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf Flüchtlinge und Vertriebene in den Lagern in Kenia und Somalia.

Zweck der Studie war die Evaluierung und Erstellung von Informationen über die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf Flüchtlinge und Aufnahmegemeinschaften, wobei der Genderdimension besondere Aufmerksamkeit galt. Die Studie wurde mit 500 Personen in und im Umfeld der Flüchtlingslager Kakuma und Dadaab, in den Stadtgebieten Nairobis und in Kismayu in Somalia durchgeführt. Die Ergebnisse werden zur Anpassung der Programmarbeit verwendet und den Regierungen und NGO-Partnern zur Verfügung gestellt, um gendergerechte Programme in dieser besonderen Notfallsituation zu erörtern.

Gewalt und Vernachlässigung

Nach UN-Informationen sind die sanitären Zustände in den Lagern unter Kontrolle, obwohl sowohl in Kakuma als auch in Dadaab im Oktober die Situation noch als alarmierend eingestuft worden war.  Aufgrund falscher Vorstellungen über die Verbreitung des Virus zeigten die Menschen im Lager zunächst nur eine geringe Bereitschaft, sich an ordnungsgemäße Hygienevorschriften zu halten. „Inzwischen haben zusätzliche Handwaschstellen und Informationskampagnen die Hygiene in den Lagern deutlich verbessert“, sagte die für Kenia zuständige LWB-Referentin Lilian Kantai.

Die Studie zeigte aber auch die zahlreichen Sekundärauswirkungen der Pandemie infolge von Lockdowns, Unterbrechung von Lieferketten und Schulschließungen.

Der Bericht erkennt einen besorgniserregenden globalen Trend und weist auf zunehmende häusliche Gewalt und Schwangerschaften bei Minderjährigen hin. In Dadaab wurde während des Lockdowns im Frühjahr ein sprunghafter Anstieg der Fälle weiblicher Genitalverstümmelung (FGM) beobachtet. Der Bericht stellt ebenfalls eine Zunahme sexualisierter Gewalt nicht nur gegen Mädchen, sondern auch gegen Jungen fest.

Kinder mit Behinderungen in Kismayu, Somalia, litten unter Vernachlässigung, da Mütter „aufgrund des höheren Betreuungsaufwandes für ihre anderen Kinder letztlich ihr behindertes Kind vernachlässigten“, stellte Kantai fest.

Ungleiche Arbeitsverteilung

Allgemein hatten die Lockdowns und Schließungen eine höhere Arbeitsbelastung von Frauen und Mädchen zur Folge. „Frauen sind oft die wichtigsten Betreuungspersonen in ihren Haushalten und innerhalb ihrer Gemeinschaften. Da die Arbeit ohnehin nicht gerecht verteilt ist, hat COVID-19 dazu geführt, dass die prekäre Situation und die überaus negativen Folgen der hohen Belastung durch die unbezahlte Pflege- und Betreuungsarbeit von Frauen noch deutlicher erkennbar wurden“, fasst Kantai zusammen.

Ehemänner und Jungen haben zu wenige Pflichten übernommen. Im Gegenteil – Schulschließungen und fehlende gemeinsame Sportmöglichkeiten haben nach Aussage des Berichts vielmehr dazu geführt, dass immer mehr Jungen aus Langeweile renitentes Verhalten zeigten und Drogenprobleme bekamen. „Es besteht hier eindeutig die Möglichkeit, unser Jugendengagement zu überdenken“, sagt Kantai. „Wir setzen viel zu sehr auf Aktivitäten mit Körperkontakt wie Sport oder Tanzen. Wenn diese körperbetonten Begegnungen nicht mehr möglich sind, wissen die Jungen nicht mehr, wohin sie mit ihrer Energie sollen.“

Der LWB musste ebenfalls Maßnahmen ergreifen, damit die Mädchen den Unterrichtsangeboten über Webradio folgen konnten. Die Studie stellte nicht nur fest, dass die Mädchen für Haushaltsarbeiten eingespannt wurden, anstatt zu lernen, sondern dass auch der Zugang zu technischen Geräten in vielen Familien als männliches Privileg angesehen wurde. Der LWB plant höhere Investitionen in die Telekommunikations-Infrastruktur, „aber es müssen auch die Probleme angegangen werden, die für Frauen im Hinblick auf Zugangsmöglichkeiten, technische Kompetenz und Aneignung bestehen.“ Die LWB-Teams arbeiten bereits an Kampagnen, damit die Jugendlichen wieder in die Schulen gehen können und um eine zu hohe Schulabbrecherquote zu verhindern.

Neue Rolle für die Männer

Während die Auswirkungen auf Frauen und Mädchen sehr klar zu erkennen sind, stellt der Bericht bei Männern unterschiedliche Trends hinsichtlich der Folgen der Pandemie fest. Unabhängig von den innerhalb der Flüchtlingsgemeinschaft vorhandenen Kulturen werden die Männer als Haupternährer angesehen, die ihren Lebensunterhalt außerhalb des Haushaltes verdienen. Die Flüchtlingssituation hat die Arbeit von Männern in Viehzucht treibenden Gesellschaften bereits dahingehend verändert, dass Handel und das Betreiben von Ladengeschäften neue Schwerpunkte sind. Als die Lockdowns die Lieferketten unterbrochen haben und die Kaufkraft der Flüchtlingsgemeinschaft nachließ, hatte dies zur Folge, dass Männer ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen konnten. Viele Maßnahmen zur Existenzsicherung richteten sich außerdem besonders an Frauen, da Männer bereits weitgehend ihre Einkommenssituation geregelt hätten, so Kantai.

Die COVID-19-Pandemie hat berufliche Tätigkeiten außer Haus zum Erliegen gebracht, während sich die auf Heimarbeit basierten Geschäftsmodelle vieler Frauen hier eher als vorteilhaft erwiesen. „Einige Männer haben inzwischen ebenfalls Interesse am Friseur- und Schneiderhandwerk gezeigt“, stellt der Bericht fest.

„Die Pandemie hat die Lebenssituation vieler Menschen geändert“, sagt Caroline Tveoy von der Anlaufstelle für Gendergerechtigkeit der LWB-Abteilung für Weltdienst. „Angesichts dieser Ereignisse und der sich ständig ändernden Situation sind die Neubewertung der Frage, welche Vulnerabilitätskriterien für die unterschiedlichen Gruppen zutreffen, und die Erfassung neuer Gefährdungen von Männern und Frauen und entsprechende Gegenmaßnahmen eine wichtige Voraussetzung dafür, dass alle einen gleichberechtigten Zugang zu vorhandenen Ressourcen haben.“