Brasilien: Brücken bauen in schwierigen Zeiten

Pfarrerin Sílvia Genz ist die erste Frau, die in der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien (IECLB) ins Amt der Kirchenpräsidentin gewählt wurde. Foto: LWB/A. Weyermüller

Interview mit Sílvia Genz, IECLB-Kirchenpräsidentin

Porto Allegre, Brasilien/Genf (LWI) – Am 15. Dezember 2018 hat Pfarrerin Sílvia Genz ihr Amt als Kirchenpräsidentin der Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien (IECLB) angetreten. Mit den Lutherischen Welt-Informationen sprach sie über ihr neues Leitungsamt, über die Herausforderungen, vor denen ihre Kirche steht und über aktuelle Entwicklungen in Brasilien.

Sie gehörten in den 80er Jahren zu den ersten Pfarrerinnen in Ihrer Kirche. Nun sind Sie die erste Kirchenpräsidentin. Was bedeutet Ihnen das?

Ja, ich bin die erste Pastorin, die zur Kirchenpräsidentin der IECLB gewählt wurde. Ich empfinde es als eine Berufung zur Vertiefung meines Dienstes in der IECLB. 1983 begann ich mein Amt als Pastorin in einer Gemeinde. Ich bin Gott dankbar dafür, in der IECLB tätig sein zu dürfen, einer Kirche, die Frauen ordiniert und sie zum Dienst in den Gemeinden entsendet.

Besonders seit den Wahlen im vergangenen Jahr erlebt Brasilien erlebt gerade turbulente Zeiten. Wie wirkt sich das auf die IECLB aus?

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die neue Regierung auch von vielen unserer Gemeindemitglieder unterstützt wird. Das führt in den Gemeinden zu Spannungen zwischen denen, die für den Präsidenten gestimmt haben und denen, die ihn ablehnen. Das geht zum Teil so weit, dass sich Familien nicht mehr zum Weihnachtsfest getroffen haben oder dass Pfarrerinnen oder Pfarrern wegen ihrer politischen Einstellung der Arbeitsvertrag mit einer Gemeinde gekündigt wurde.

Das ist für eine Kirchenleitung keine einfache Situation…

Wir müssen sehr ausgewogen reden und handeln, um unsere Mitglieder nicht weiter zu polarisieren. Mit unserem Jahresthema aus Johannes 14, 27 und der Aussage Jesu „Meinen Frieden gebe ich euch“ wollen wir ganz konkret Räume schaffen, in denen die Menschen gemeinsam darüber nachdenken können, wie wir Brücken zueinander bauen können. Spaltung, Streit und Hass in den Familien, in der Gemeinde und in der Gesellschaft müssen überwunden werden.

In unserer Pfarrerschaft haben wir abgesprochen, dass wir unsere Arbeit wie gewohnt weitermachen wollen und nicht in jede Debatte einsteigen, die in den Sozialen Medien geführt wird. Über diese Kanäle werden oft Gerüchte und Thesen verbreitet, die erst auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden sollten.

Wie schätzen Sie die Entwicklung in der brasilianischen Zivilgesellschaft unter der aktuellen Regierung ein?

Es gibt eine Reihe von Themen, die wir mit Sorge betrachten. Beispielsweise wurde der Erwerb von Schusswaffen erleichtert. Als Kirche erheben wir entschlossen die Stimme dagegen, weil Waffen nicht dem Leben dienen, sondern den Hass in der Gesellschaft verstärken.

Generell sehen wir, dass Menschenrechte immer weniger geachtet werden. So ist zum Beispiel der Sonderstatus der indigenen Völker in Brasilien beschnitten worden. Diese Menschen leisten oft Widerstand gegen die großflächige Abholzung im Amazonasgebiet. Aber die Regierung will nun Umweltauflagen streichen und Schutzflächen in Amazonien für die wirtschaftliche Nutzung freigeben. Außerdem wird mit einem Ausstieg aus dem Pariser Klimaschutzabkommen geliebäugelt.

Im Januar hat der Dammbruch an einer Eisenerzmine in Brumadinho im Bundesstaat Minas Gerais internationale Schlagzeilen gemacht. Eine giftige Schlammlawine begrub Ortschaften; wohl mehrere hundert Menschenleben sind zu beklagen. Auch eine Gemeinde der IECLB ist betroffen. Wie gehen Sie mit dieser Katastrophe um?

„Es stinkt hier“, berichtet unser Pfarrer vor Ort. Der ganze mit Chemie verseuchte Schlamm hat sich über ein großes Areal ergossen und Menschen, Tiere und Häuser unter sich begraben. Viele Familien aus der Gegend haben Angehörige verloren. Die schließen wir besonders in unsere Gebete ein.

Am 9. Februar wurde ein ökumenischer Trauergottesdienst gehalten. Wir haben Menschen aus anderen Landesteilen eingeladen, zu diesem Anlass Trostbriefe für die Hinterbliebenen zu schreiben, um sie in ihrer Trauer zu begleiten. Zu Ostern soll dann ein besonderer Gottesdienst gefeiert werden, berichtet unser Pastor in Belo Horizonte, Nilton Giese. Dazu wird die Brief-Kampagne bis zum 8. April weitergeführt. Wer sich daran beteiligen möchte, kann einen Brief an

Comunidade Luterana - IECLB - em Belo Horizonte,
Rua Dona Salvadora, 37
Bairro Serra
30.220-230 - Belo Horizonte – MG
Brasilien

senden.

Sorge bereitet uns, dass es in der Umgebung noch 35 weitere solcher Dämme gibt. Wie es um deren Sicherheit bestellt ist, wissen wir nicht genau. Als Kirche setzen wir uns dafür ein, dass die gesetzlichen Bestimmungen eingehalten werden. Das gilt für die Sicherheit der Dämme genauso wie für die Entschädigung für die von solchen Katastrophen Betroffenen.

Was bedeuten Ihnen die Beziehungen zu Partnerkirchen und Partnerorganisationen im In- und Ausland und das Wissen darum, Teil einer lutherischen Weltgemeinschaft zu sein?

Es ist ermutigend zu sehen, welch großen Anteil andere an den Entwicklungen in Brasilien und in unserer Kirche nehmen und sich viele Gedanken machen. So wissen wir, dass wir nicht allein sind, sondern eingewoben sind in ein großes Netzwerk. Dialog auf Augenhöhe mit unseren Partnern und in gegenseitigem Respekt bringt alle Beteiligten weiter. So können gute Ideen wachsen – bei uns und auch bei unseren Partnern!

 

Stimmen aus der Kirchengemeinschaft:

Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine weltweite Gemeinschaft, deren Mitglieder sich gemeinsam für das Werk und die Liebe Christi in der Welt einsetzen. In dieser Reihe präsentieren wir Kirchenleitende und Mitarbeitende, die über aktuelle Themen sprechen und Ideen entwickeln, wie Frieden und Gerechtigkeit in der Welt geschaffen werden und die Kirchen und die Gemeinschaft in ihrem Glauben und ihrem Engagement wachsen können.