Bolivien: „Inklusion ist eine Lehre, die von der indigenen Bevölkerung schon immer gelebt wird“

Germán Loayza, Kirchenpräsident der Bolivianischen Evangelisch-Lutherischen Kirche. Foto: LWB/C. Kästner

Interview mit Germán Loayza, Kirchenpräsident der Bolivianischen Evangelisch-Lutherischen Kirche

LA PAZ, Bolivien/GENF (LWI) – 1938 gründeten Missionare die Bolivianische Evangelisch-Lutherische Kirche (IELB) im indigenen Volk der Aymara in der Andenregion Boliviens. Heute besteht die IELB ganz aus indigenen Kirchengemeinden, was zum Teil auf die Verwendung der einheimischen Sprachen der Aymara und Quechua in den Kirchenprogrammen zurückzuführen ist. Auch IELB-Kirchenpräsident Germán Loayza hat indigene Wurzeln. Die IELB ist zudem die größte indianische lutherische Kirche auf dem lateinamerikanischen Kontinent.

In diesem Interview spricht Pfarrer Loayza darüber, wie die Anwesenheit der IELB in den indigenen Gemeinden von den Menschen, die sie begleitet, verehrt wird, und wie froh ihn das macht.

Bitte erzählen Sie uns etwas über Ihre Kindheit und Ihre religiöse und spirituelle Erziehung.

Meine Eltern und Großeltern sind lutherisch und gehörten der ersten lutherischen Kirchengemeinde in Bolivien an, die 1938 gegründet wurde. Obwohl ich als Kind meine Eltern, Tanten und Onkel begleitete, wenn diese das Evangelium predigten und an verschiedenen Orten dienten, kam es mir nie in den Sinn, Pfarrer zu werden. Dennoch wurde ich Pfarrer, deshalb sage ich auch „wenn Gott ruft, dann ruft Er“.

Meine Großmutter sagte zu mir: „Ich bete für dich, damit Gott dich eines Tages ruft und einsetzt.“ Ich sagte dann artig „Danke“, doch es ging zum einen Ohr rein und zum anderen raus. Immer, wenn ich zu Besuch war, wiederholte sie denselben Satz „Germàn, ich bete für dich, damit Gott dich eines Tages einsetzen kann.“

Inwiefern hat das geprägt, wie Sie die Kirche leiten?

Wir sind keine sonderlich große Kirche, aber wir dehnen unsere Dienste auf die breitere Gemeinde aus, um auch Vorstadtgebiete, ländliche Gemeinden, andere indigene Völker, Kinder, Frauen und Jugendliche einzubeziehen. Als Kirchenoberhaupt ist es mir wichtig, in Verbundenheit mit Gott zu leben, zu wissen, dass Gott alles teilt, was wir haben, und dass Er mit uns geht. Unser Gott ist ein Gott, der zuhört, ein Gott, der in uns Wunder wirkt, damit wir vertrauen und glauben. Wenn dich Gott also ruft, kannst du nicht „Nein“ sagen. Gott ist unser Alter egal. Gott prägt uns als Kinder, als Jugendliche und sogar als Erwachsene. Selbst heute noch lerne ich, wie man Gott dient.

Erzählen Sie uns etwas über die bolivianische lutherische Kirche?

Die lutherische Kirche wurde rund 250 Kilometer nördlich von La Paz gegründet, in der Andenregion auf einer Höhe von 2.000 Metern über dem Meeresspiegel inmitten der Aymara- und Quechua-Bevölkerung. Beide Kulturen haben ein großartiges Gespür dafür und eine tolle Art, mit Gott zu sein und mit dem Herrn zu leben. Die beiden Kulturen machen noch immer einen großen Teil der lutherischen Kirche aus.

Doch inzwischen gehören auch andere indigene Gruppen dazu. Es ist nicht mehr nur eine lutherische Kirche der Aymara und Quechua, und in den Gottesdiensten der bolivianischen lutherischen Kirche werden vielerlei Sprachen gesprochen. Kulturell gesehen nimmt der Pfarrer in einer unserer Kirchen nicht nur für die Kirchengemeinde die Rolle des Pfarrers ein, sondern für die gesamte Gemeinde.

Gesellschaftlich gesehen sind die Probleme der Region, wie etwa Armut und soziale Ungleichheit in der indigenen Bevölkerung, auch die Probleme der Kirche. Deshalb ist die Kirche in die Gemeinde eingebunden und die Gemeinde in die Kirche. Diese Beziehung wird am Beispiel der Bergarbeiter deutlich, die vor kurzem in La Paz demonstriert haben. Ich traf mich dort mit einem Bergarbeiter, setzte einen Helm auf und begleitete ihn auf dem Weg zum Regierungspalast. Er wusste, dass wir die lutherische Kirche waren, nicht weil wir ein Schild dabeihatten, auf dem stand „Lutherische Kirche“, sondern weil wir so handelten. Wir waren dort und gingen mit ihnen.

Nicht die lutherische Kirche demonstrierte, sondern das Volk der Aymara, das Volk der Quechua demonstrierte mit ihnen. So lebt die lutherische Kirche in der Gemeinde. Ich finde das wundervoll; es macht mich froh. Die Aymara und die Quechua schließen andere nicht aus. Inklusion ist die Lehre unseres Herrn, die wir schon immer gelebt haben.

Wenn wir in unseren Gemeinden anwesend sind, sagen wir: „Verleih mir Deine Füße, Herr, damit ich zu den Menschen in Not eilen kann.“ Doch wir können nur mit Gott dorthin gelangen, um diese Arbeit zu leisten.

Welche Vorstellung haben Sie von der Zukunft der Bolivianischen Evangelisch-Lutherischen Kirche?

Obwohl unsere Anzahl eher gering ist, so nimmt sie in Cochabamba, einer Stadt in Zentralbolivien, doch zu. Es gibt uns auch in Tarija, in Santa Cruz, in Pando, aber nicht im selben Maße wie am Hauptstandort in La Paz. Insgesamt muss die lutherische Kirche in Bolivien und vielleicht auch in Lateinamerika und auf der ganzen Welt wieder dazu übergehen, das Evangelium mit neuer Leidenschaft zu verkünden.

Wir haben es uns in unseren Kirchen bequem gemacht und behaupten, Christus habe uns gesegnet. Es stimmt: Gott hat uns außerordentlich gesegnet; doch was ist mit den Menschen, die noch immer ohne seinen Segen sind? Deshalb glaube ich, dass die Kirche auch weiterhin ihre Mauern einreißen muss, um Gottes Liebe, Barmherzigkeit und offene Arme zu zeigen.

Ich bete, dass wir Gottes Stimme hören, dass wir Gottes Hand zu fühlen und Gottes Umarmung zu spüren bekommen, und bitte um göttliche Augen, damit wir die Herzen der Leidenden erkennen und Gottes Liebe allen, die ihrer so sehr bedürfen, vermitteln können.

Was bedeutet es für Ihre Kirche, Ihre Arbeit und Sie selbst, Teil der Gemeinschaft der Kirchen zu sein?

Vor Jahren war ich in einem Postamt und traf dort einen deutschsprachigen Pfarrer namens Gerardo Duncan. Er erzählte mir, er gebe Briefe an die lutherische Kirche auf. Wir kamen ins Gespräch, und er machte mich mit dem Lutherischen Weltbund bekannt. Es ist großartig, Teil einer Gemeinschaft zu sein, zu der so viele lutherische Kirchen aus der ganzen Welt gehören.

Stimmen aus der Kirchengemeinschaft:

Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine weltweite Gemeinschaft, deren Mitglieder sich gemeinsam für das Werk und die Liebe Christi in der Welt einsetzen. In dieser Reihe präsentieren wir Kirchenleitende und Mitarbeitende, die über aktuelle Themen sprechen und Ideen entwickeln, wie Frieden und Gerechtigkeit in der Welt geschaffen werden und die Kirchen und die Gemeinschaft in ihrem Glauben und ihrem Engagement wachsen können.

Von IELCH/Roberto Andres Fuentealba Matus, Redaktion LWB/A.Gray. Deutsche Übersetzung: Tonello-Netzwerk, Redaktion: LWB/A. Weyermüller