Barmherzige EU-Migrationspolitik gefordert

Ein griechischer Freiwilliger winkt einem Flüchtlingsboot in der Ägäis zu und lenkt es zu einem sicheren Ort, um an einem Strand auf der griechischen Insel Lesbos zu landen. Foto: Paul Jeffrey

LWB-Generalsekretär: Chance für Europa, in gemeinsamer Solidarität zu wachsen

GENF (LWI) – Die aktuelle Flüchtlingskrise ist „für europäische Länder eine Chance, in gemeinsamer Solidarität zu wachsen“, sagte Pfarrer Dr. h.c. Dr. h.c. Martin Junge, Generalsekretär des Lutherischen Weltbundes (LWB). Der LWB hat mit christlichen Organisationen weltweit in einer gemeinsamen Erklärung auf die verzweifelte Situation von Migrierenden und Flüchtlingen in Europa hingewiesen und eine auf Barmherzigkeit gründende Antwort auf diese Krise gefordert. Gemeinsam repräsentieren die Organisationen, die diese Erklärung unterzeichnen, 2,8 Milliarden Menschen, etwa ein Drittel der Weltbevölkerung.

„Solidarität sollte das Leitprinzip für die Bewältigung der Migration und besonders die Aufnahme von Flüchtlingen sein“, heißt es in der Erklärung. „Wir erwarten von der EU, dass sie diesen von Angst und Abschreckung  getriebenen Diskurs und die daraus folgende Politik zurückweist und eine grundsatztreue Haltung und eine von Mitgefühl geleitete Praxis auf Basis der grundlegenden Rechte zeigt, auf denen die EU gegründet wurde.“

Die Organisationen haben die Erklärung im Vorfeld des neuen Migrationspaktes der EU veröffentlicht, der am 23. September vorgelegt wurde.

„Wir haben nur diese eine kostbare Menschenfamilie, in der wir mit der Aufgabe betraut wurden, füreinander zu sorgen“, sagte der kommissarische Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen, Professor Dr. Ioan Sauca. „Die Asylpolitik eines jeden Landes muss diese Fürsorge und das Vertrauen erkennen lassen und als einen gemeinsamen Weg, eine feierliche Verpflichtung und ein gemeinsames Zeugnis verstehen. Wir haben hohe Erwartungen an die Kommission und den neuen Migrations- und Asylpakt, den sie am 23. September vorstellen wird.“

Rudelmar Bueno de Faria, Generalsekretär des ACT-Bündnisses, stellte fest, dass das tragische Feuer in Moria „eine deutliche Mahnung im Hinblick auf die völlig vorhersehbaren und vermeidbaren Folgen einer EU-Asyl- und Migrationspolitik ist, die die Unverletzbarkeit von Grenzen über menschliches Leben stellt und dem Populismus mehr Aufmerksamkeit schenkt als der Würde und der Menschlichkeit. Wir erwarten mehr von Europa und seiner politischen Führung. Es ist Zeit für einen Kurswechsel.“

Dr. Jørgen Skov Sørensen, Generalsekretär der Konferenz Europäischer Kirchen, stellte fest: „Kirchen und christliche Gemeinschaften überall in Europa werden Zeuge der verstörenden Lage von Migrierenden und Flüchtlingen in der Region, vor allem im Zuge der aktuellen Geschehnisse im Flüchtlingslager Moria. Die humanen Folgen dieser Situation erfüllen uns mit tiefer Sorge.“

„Wir fordern alle unsere Mitgliedskirchen und in der Tat alle Menschen im Glauben auf, sich zum Gebet zu verpflichten und unsere Rolle als Botschafter des Mutes und der Hoffnung anzunehmen. Wir müssen in jeder erdenklichen Weise unsere gemeinsamen Initiativen fortsetzen und stärken und den schutzbedürftigsten Menschen in einer verzweifelten Situation Hoffnung geben.

Aufruf zur Arbeit für Gerechtigkeit

Dr. Torsten Moritz, Generalsekretär der Kommission der Kirchen für Migranten in Europa, gibt zu bedenken, dass wir seit einigen Jahren und tragischerweise gerade vor zwei Wochen mit dem Feuer im Lager Moria die furchtbaren Konsequenzen der derzeitigen EU-Migrationspolitik erleben. „Das ist eine Politik, die Flüchtlinge und Migrierende an den Grenzen versucht aufzuhalten, sie dort zurückweist oder sie, koste es, was es wolle, wieder zurückschickt“, sagte Moritz. „Der neue Asyl- und Migrationspakt muss hier einen anderen Weg gehen.“

Moritz ergänzt, dass die EU einen ehrlichen und mutigen neuen Start brauche und ihre eigene Verantwortung annehmen müsse, anstatt sie zu verweigern. „Daraus ergibt sich die Aufgabe, sichere Passagen zu ermöglichen, eine menschenwürdige Aufnahme anzubieten und eine Willkommensgesellschaft zu fördern – und wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass Europa weiterhin Gründe für die Vertreibung von Menschen liefert“, sagte er. „Die Kirchen stehen bereit, die EU und ihre Mitgliedstaaten zu unterstützen, wenn die Gemeinschaft wirklich den Willen für einen solchen Neustart zeigt.“

Pfr. Dr. Chris Ferguson, Generalsekretär der Weltgemeinschaft reformierter Kirchen, erklärte, dass die Situation der Flüchtlinge und Asylsuchenden in Griechenland und anderswo symptomatisch für die tieferen Wurzeln des Kolonialismus und des Imperialismus seien, die Menschen und Ressourcen des Profits willens ausgebeutet haben. „Als gläubige Menschen stehen wir den Migrierenden, den Flüchtlingen, den Asylsuchenden zur Seite und rufen zu Gastfreundschaft und Willkommenskultur auf“, sagte er. „Wir glauben, dass es unsere Berufung ist, uns kontinuierlich für Gerechtigkeit gegenüber allen Unterdrückten einzusetzen.“

Die Griechische Evangelische Kirche hat sofort nach Beginn der Flüchtlingskrise auf die Situation reagiert und unterstützt die Flüchtlinge weiterhin in vielfacher Weise. Sie „fordert die ökumenische Kirche und ihre internationale Gemeinschaft nachdrücklich auf, entschlossen zu handeln und Griechenland in der Not zu helfen und zu unterstützen und am besten sowohl  die Bedarfslage der ‚Moria-Flüchtlinge‘ als auch der Einwohner und Einwohnerinnen von Lesbos zu berücksichtigen, indem die Gemeinschaft eine große Zahl der Flüchtlinge annimmt und aufnimmt, die bereits Asyl in den einzelnen Länder erhalten haben“, sagte Pastor Dimitris Boukis, Sekretär des Vorstandes der Generalsynode der Griechischen Evangelischen Kirche.

Martina Wasserloos, Präsidentin der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen in Europa, zeigte sich erfreut über diese gemeinsame Initiative, europäische Behörden mindestens für Menschenwürde und Menschenleben in die Verantwortung zu nehmen.

„Als Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen in Europa sehen wir die untragbare Situation, in der sich Migrierende befinden“, sagte sie. „Wir sind davon überzeugt und bekennen, dass wir im Gesicht der Flüchtlinge das Ebenbild Gottes erkennen. Als Kirchen bieten wir Hilfe an, um diese Krise auf vielfachen Wegen zu überwinden, aber wir erwarten ebenfalls wohlwollende und humanitäre Lösungen von denjenigen, die politische Entscheidungen treffen müssen.“

Innerhalb der Anglikanischen Kirchengemeinschaft  werden die Menschen in den Fünf Kennzeichen der Mission Gottes aufgefordert, „durch liebenden Dienst auf menschliche Bedürfnisse einzugehen ... Ungerechte gesellschaftliche Strukturen zu verändern, gegen Gewalt in jeder Form vorzugehen und sich für Friede und Versöhnung einzusetzen“, so Hochwürden Dr. Josiah Idowu-Fearon, Generalsekretär der Anglikanischen Kirchengemeinschaft. „Überall auf der Welt müssen Millionen von Frauen, Männern und Kindern diesen Glauben in Aktion in ihrem Leben fühlen, wenn sie vor Konflikten und Gewalt fliehen und den verheerenden Folgen von Armut und Klimawandel entkommen wollen“, sagte er. „Das erfordert eine zielgerichtetere gemeinsame Antwort, an der die Kirchen und andere Glaubensgemeinschaften einschließlich der Anglikanischen Kirchengemeinschaft gerne bereit sind mitzuwirken.“

Mit gutem Beispiel vorangehen

Der Weltrat Methodistischer Kirchen hat bedingungslose Gastfreundschaft und Fürsorge für „den Fremden“ zum zentralen Thema der Jahre 2016-2021 gemacht. Dies berichtet Bischof Ivan Abrahams, Generalsekretär des Weltrates. „Wir arbeiten weiterhin mit allen und überall zusammen und begleiten Migrierende, Flüchtlinge und Asylsuchende, weinen mit ihnen, hoffen mit ihnen, und träumen mit ihnen in der Hoffnung auf ein nachhaltiges Leben und eine sichere Existenz“, sagte er.

Für Pfarrer Dr. h.c. Dr. h.c. Martin Junge, Generalsekretär des Lutherischen Weltbundes, eröffnet sich hier für die Länder Europas, gemeinsam Solidarität zu zeigen und daran zu wachsen. „Europa kann hier beispielhaft vorangehen und den Fremden schützen, indem die Gemeinschaft auf Einhaltung internationaler Verpflichtungen besteht.“

Er erinnert daran, dass „eine der ersten Aufgaben des LWB die Fürsorge für europäische Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg war, und dass auch die Europäische Union jetzt diese Aufgabe hat. Unsere Mitgliedskirchen auf der ganzen Welt waren solidarisch mit den Millionen Vertriebenen in Europa. Multilateralismus, Mitgefühl und Dienst stehen im Mittelpunkt der humanitären Arbeit des LWB für Vertriebene auf der ganzen Welt. Wir dürfen nicht vergessen, dass Flüchtlinge vieles auf der Flucht verlieren, doch sie verlieren niemals ihre Menschenrechte.“

Der Päpstliche Rat zur Förderung der Einheit der Christen reflektierte über eine Botschaft von Papst Franziskus. „In seiner Botschaft zum Welttag der Migranten und Flüchtlinge, den die katholische Kirche am nächsten Sonntag, 27. September 2020 begeht, erklärt Papst Franziskus: „Konfliktsituationen und humanitäre Notfälle, die durch den Klimawandel zusätzlich verschärft werden, erhöhen die Zahl der Vertriebenen und betreffen Menschen, die bereits jetzt in bitterer Armut leben. Vielen der Länder, die diese Situation erleben, fehlt es an adäquaten Strukturen, um den Vertriebenen wirklich helfen zu können.“ Er fordert deshalb Behörden, Kirchen und uns alle nachdrücklich auf, Vertriebene willkommen zu heißen, zu schützen, zu fördern und zu integrieren. Als Christen und Christinnen verlangen wir von den Mitgliedsländern der Europäischen Union, gerechte und faire Lösungen zu entwickeln und durchzusetzen, die die Menschenwürde und die Menschenrechte respektieren.“

Die Europaregion des Weltbundes für Christliche Kommunikation unterstützt diese Erklärung ebenfalls und weist besonders darauf hin, wie wichtig Maßnahmen, besonders in den sozialen Medien, gegen Hassreden sind, die sich gegen Migrierende und Flüchtlinge richten.

„Unser öffentlicher Diskurs, besonders in den sozialen Medien und über die Medienagenturen, muss die Menschenwürde der Migrierenden und Flüchtlinge respektieren“, sagte Dr. Stephen Brown, Präsident des europäischen Regionalverbandes des Weltbundes für Christliche Kommunikation. „Gleichzeitig müssen Medienprofis dafür sorgen, dass eine ausgewogene Berichterstattung über Migrierende und Flüchtlinge gewährleistet wird und dass von Klischees bestimmte und grob vereinfachende Darstellungen vermieden werden.