Afrika: Leidenschaft für theologische Bildung

Der neue LWB-Afrikareferent, Pfarrer Dr. Samuel Dawai von der Lutherischen Brüderkirche Kameruns. Foto: LWB/S. Gallay

LWB-Afrikareferent Samuel Dawai über die befreiende Botschaft des Evangeliums

YAOUNDÉ, Kamerun/GENF (LWI) – Der neue Afrikareferent des Lutherischen Weltbundes (LWB), Pfarrer Dr. Samuel Dawai trat seine Aufgabe im Juli dieses Jahres an. Der Neutestamentler Dawai war in seiner Heimatkirche, der Lutherischen Brüderkirche Kameruns (EFLC), 26 Jahre lang als Gemeindepfarrer, Bibelwissenschaftler und Leiter des vom EFLC geführten Kaélé-Seminars in Nordkamerun tätig. Als Afrikareferent ist er für die 31 LWB-Mitgliedskirchen in 23 Ländern der Region zuständig. Dawai hat sein Büro in Yaoundé beim LWB-Länderprogramm für Kamerun.

In diesem Interview spricht er über seinen Weg in die akademische Welt, den LWB und seine Vision für die Region Afrika.

Erzählen Sie uns etwas über Ihre religiöse und geistliche Erziehung. 

Meine Eltern nahmen den christlichen Glauben als Erwachsene an. Mein Vater war als Diakon in der Kirche tätig und kümmerte sich um die kleinen Gemeinden innerhalb der Kirche. Aber meine Mutter brachte uns das Beten bei. Mich formten auch die kirchlichen Angebote wie Sonntagsschule, Jugendgruppen, Bibelgruppen und die Evangelisation in den Dörfern, in denen es keine Kirche gab. 

Ich wuchs zum großen Teil im Dorf auf und zum Teil in der Stadt. Im Dorf ist jeder gläubig, was bedeutet, dass die Verbindung zwischen afrikanischer Tradition und Spiritualität den Lebensrhythmus vorgibt. Diese afrikanisch-spirituelle Umgebung formte uns genauso wie das Christentum und blieb mit uns verbunden. Die religiöse Praxis und dieser Lebensrhythmus gestalteten unser Leben. Dazu gehörten auch Ereignisse, an denen die gesamte Gemeinde beteiligt war, wie zum Beispiel Pflanzen und Ernten, Namensgebungszeremonien für Kinder, Hochzeiten und das Betrauern der Verstorbenen. Diese Rituale gliederten unseren Alltag und sorgten für Berührungspunkte zwischen einem afrikanischen und einem christlichen Glaubensumfeld. Beide verbinden uns mit Gott.  

Führte das dazu, dass Sie ein geistliches Amt antraten? 

1991 wurde ich gebeten, die Jugendgruppe meiner Kirchengemeinde zu leiten. In der Zeit fing ich auch an, mich zu fragen, ob ich Pfarrer werden sollte. Ich stellte mir Fragen wie: „Warum nicht dem Herrn dienen? Warum Gott nicht in der Kirche dienen?“ Nach Gesprächen mit zwei Pfarrern, die mich davon überzeugten, dass ich das Zeug dazu hätte, Gott zu dienen, machte ich eine Theologie-Ausbildung. Später gab mir mein Theologiestudium Antwort auf meine früheren Fragen, was mich in meiner Berufung bestärkte.

Ich lehrte 15 Jahre lang am Seminar. Als LWB-Afrikareferent wird es für mich schwierig, weiterhin zu unterrichten, doch ich möchte meine neutestamentlichen Lehrbücher nicht ganz schließen. Ich bin mit Liebe und Leidenschaft Lehrer, doch es ist an der Zeit für einen Wechsel zu einer neuen Berufung.

Erzählen Sie uns mehr über Ihren theologischen Bildungshintergrund.

Meine seelsorgerliche und theologische Ausbildung begann 1993 am Kaélé-Seminar, wo ich 1996 mein Pfarrdiplom erwarb. Ich setzte mein theologisches Studium an der Fakultät für protestantische Theologie in Yaoundé fort, wo ich 1998 den Bachelor und 1999 den Master machte. Nachdem ich drei Jahre lang in einer Kirchengemeinde tätig gewesen war, schrieb ich mich für ein Promotionsstudium an der Fakultät für Theologie der Protestantischen Universität von Zentralafrika in Yaoundé ein, wo ich 2007 den Doktortitel erhielt. Mein Promotionsstudium beinhaltete einen Aufenthalt an der Protestantischen Fakultät für Theologie in Montpellier, Frankreich. Dazu kommt meine Teilnahme an mehreren vom LWB organisierten theologischen Seminaren, in denen ich sehr viel über das Luthertum lernte. 

Was bedeutet es für Sie, Theologie zu unterrichten?

Den größten Teil meines Berufslebens habe ich damit verbracht, Theologie zu unterrichten. Ich lehrte neutestamentliche Theologie sowohl an der Protestantischen Schule für Theologie in Maroua als auch am EFLC-Seminar in Kaélé. Ich habe den Studierenden leidenschaftlich gerne Wissen vermittelt, meine Kenntnisse über das Evangelium weitergegeben und über den christlichen Glauben und das Christsein aus lutherischer Perspektive diskutiert. Ich hatte nicht nur ein Faible dafür, über Jesus, die Apostel und die frühe Kirche zu reden, sondern brachte die Studierenden gerne dazu, sich damit auseinanderzusetzen, was es für uns heute heißt, lutherische Christinnen und Christen zu sein, vor allem in einem afrikanisch geprägten kulturellen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kontext. 

Auf meinem Weg als Lehrer für theologische Bildung habe ich gelernt, dass der Lehrer in erster Hinsicht ein Lernender ist. Man muss immer in Frage stellen, was man bereits weiß, um dazuzulernen. Auch sind theologische Betrachtungen oder biblische Interpretation kontextabhängig: folglich muss ich als Theologe immer mit einem offenen Geist und in Demut an das Unterrichten herangehen. Wenn Gott Gegenstand theologischer Betrachtungen ist, müssen wir uns klein machen, um Gott besser zu verstehen. Ich habe auch gelernt, dass die theologische Bildung nur dann effektiv ist, wenn sie einen wesentlichen Einfluss auf die Pastorinnen und Pastoren hat und mit einer echten spirituellen Beziehung zu Gott einhergeht. 

Sie sprachen über Berührungspunkte zwischen der traditionellen afrikanischen Religion und dem Christentum. Welche Erfahrungen haben Sie diesbezüglich bei der theologischen Bildung gemacht? 

Wie bei vielen anderen afrikanischen Menschen christlichen Glaubens hat es mir mein eigener spiritueller und theologischer Weg ermöglicht zu begreifen, dass es in Afrika bei der theologischen Bildung auf den Dialog mit den traditionellen afrikanischen Religionen ankommt. Die Person, der wir das Evangelium predigen, befindet sich nicht in einem spirituellen oder religiösen Vakuum. Sie empfängt ein Evangelium, das von Kultur durchdrungen ist. Deshalb ist es nicht einfach, in einem kamerunischen und afrikanischen Kontext das Kulturelle und das Religiöse komplett auseinanderzuhalten. Man muss sich folglich auch fragen: „Welche Beziehung besteht zwischen der Botschaft des Evangeliums und der Kultur?“ 

Tatsächlich haben afrikanische Werte-, Gedanken- und Glaubenssysteme trotz der Entfaltung der westlichen Kultur und des Christentums noch immer Einfluss auf das tägliche Leben. Diese Systeme drücken sich in Mythen, Geschichten, Moralvorstellungen und Sprichwörtern aus, die philosophische und religiöse Werte vermitteln, mit denen das Handeln der Lebenden gut- oder schlechtgeheißen wird. Das sind Prozesse, die eine Gelegenheit zur theologischen Äußerung bieten und die Herausforderungen für den christlichen Glauben und die christliche Theologie darstellen.

Können Sie ein paar Beispiele nennen? 

Nehmen wir mal diese Übersetzung eines kamerunischen Sprichworts: „Ein Perlhuhn ohne Küken ist nichts weiter als glänzende Federn.“ Damit wird ausgedrückt, dass eine Frau ohne Kinder keine Ehre hat und nicht wirklich weiblich ist. Es propagiert die starke Überzeugung, dass eine Ehe nur dann von echtem Wert ist, wenn die Frau ihrem Gatten Nachwuchs schenken kann. Auf diese Weise werden Frauen in der Gesellschaft beschämt, die keine Kinder haben. Die Herausforderung für den afrikanischen Theologen besteht darin, erfolgreich aufzuzeigen, dass so eine Überzeugung im Widerspruch zu christlicher Ethik und christlichen Werten steht. Doch auf der anderen Seite können eine Geschichte, ein Ritus, ein Tanz oder eine Parabel eine gute Gelegenheit bieten zur Katechese, zum Komponieren von Kirchenliedern und für andere Formen der Unterweisung, mit denen die befreiende Botschaft des Evangeliums Jesu Christi vermittelt wird.

Zu anderen afrikanischen Glaubensvorstellungen, die eine enorme Herausforderung an die Theologie darstellen, gehört die Überzeugung, dass Wasser und lebende Kreaturen – Pflanzen und alle Tiere – von Geistern bewohnt sind. Das fördert ein von Ängsten erfülltes Leben oder führt dazu, dass sich im Leben von Menschen christlichen Glaubens ein Synkretismus entwickelt. 

Ein weiteres Beispiel ist die Werteskala (was ist gut, was ist schlecht): es gibt beispielsweise Kulturen, in denen es keine Vorstellung von Schuld gibt, stattdessen haben die Menschen das Konzept der Schande. Hier besteht die Herausforderung darin, neue theologische Ausdrucksformen zu erarbeiten, die angenommen und verstanden werden.

Zu dieser kulturellen und religiösen Wirklichkeit müssen wir auch die Erfolge hinzuzählen, die seit der Zeit der Missionare erzielt wurden und die erneut untersucht werden müssen. 

Die vielfältigen theologischen Herausforderungen erfordern einen kontextabhängigen Ansatz. Dieser kontextabhängige Ansatz verhängt keine vorgefertigten und in einem westlichen Kontext konstruierten theologischen Vorstellungen, sondern formuliert die Botschaften der Bibel und des Evangeliums in einem vorhandenen kulturellen und religiösen Kontext. Deshalb müssen die afrikanischen theologischen Einrichtungen eher eine Theologie des Lebens erarbeiten, die auf die spirituellen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedürfnisse der Menschen vor Ort eingeht.

Was wollen Sie als Afrikareferent gerne zu den LWB-Mitgliedskirchen der Region bringen?

Für die lutherischen Kirchen in der Afrika-Region wünsche ich mir, dass sie besser begreifen, wie eine Führungsverantwortung aussieht, mit der die Kirche zukunftsfähig wird. Ich freue mich, dass im LWB bereits seit einiger Zeit darüber diskutiert wird. Dazu gehört auch die Unterstützung der Kirchen bei ihren strategischen Bemühungen um wirtschaftliche und finanzielle Autonomie. 

Ich selbst kann mitbringen, dass ich den Kirchen in ihren Momenten der Freude, der Feierlichkeiten und der Herausforderungen zuhöre und sie begleite, dass ich sie ermutige, die vom LWB vertretenen Werte umzusetzen und die Verfahrensrichtlinien bei der Verteilung von Ressourcen wie Stipendien und Unterstützung bei Entwicklungsprojekten einzuhalten.

Andere Herausforderungen betreffen alle afrikanischen Kirchen und religiösen Organisationen. Es gab eine rapide Zunahme von Erweckungskirchen und Neo-Pfingstkirchen. Doch leider bringen sie für die Menschen trügerische Theologien mit sich. Beispielsweise laugt die Wohlstandtheologie unsere Jugend aus. Viele sagen, sie glauben an Jesus und erwarten Reichtum, nur um dann festzustellen, dass man ihnen falsche Träume verkauft hat. 

Über die theologische Bildung müssen die Kirchen in Afrika den Menschen wieder christliche Glaubenskonzepte wie Auferstehung, Gnade und Liebe nahebringen. Für mich bedeutet die Auferstehung der Sieg über die Mächte der Finsternis und des Bösen. Würden unsere Christinnen und Christen sich darüber im Klaren sein, würden viele nicht zu den falschen Propheten laufen, die von Tag zu Tag mehr werden in Afrika. Bei der richtigen Auffassung von Gnade geht es um die Freiheit von Schuld und der Diktatur der Vollkommenheit. Erkenntnis von Liebe zu erlangen, würde unseren Beitrag im Streben nach Frieden in einem Konflikt stärken.

Ich wünsche mir, dass unsere theologischen Einrichtungen qualifizierte Lehrerinnen und Lehrer ausbilden, die künftigen Pastorinnen und Pastoren das befreiende Evangelium Christi lehren, damit diese die Botschaft an ihre Gemeinden weitergeben können. 

Warum sind die Mitgliedskirchen ein wichtiger Teil der Mission des LWB?

Ohne die Mitgliedskirchen gibt es keine Gemeinschaft. Wegen der Kirchen gibt es einen LWB und seine Mission als Kirchengemeinschaft. Ich denke an das Bild, das der Apostel Paulus im Brief an die Korinther zeichnet, wo er die Kirche einen Leib mit vielen Gliedern nennt, von denen jedes eine Aufgabe hat. Zwischen den Gliedern besteht eine Synergie, und diese Gemeinschaft verleiht jedem Glied so eine Synergie. Ohne diese Solidarität und Synergie der Mitglieder wären die gemeinschaftlichen Beziehungen und die humanitäre Arbeit des LWB nicht möglich.

Von LWB/A. Gray, P. Mumia. Deutsche Übersetzung: Tonello-Netzwerk, Redaktion: LWB/A. Weyermüller