„Schreckliche Geschichten von Leid, Schmerz und Verlust“

Das zweite medizinische Team des Auguste-Viktoria Krankenhauses ist am 4. August nach Gaza aufgebrochen. Foto: LWB Jerusalem/M. Brown

Medizinische Teams des Auguste Viktoria-Krankenhauses versorgen Verletzte in Gaza

(LWI) - „Schwere Kämpfe, Artilleriebeschuss und Bombardement. Wir haben 11 Schwerverletzte in der Intensivstation des Nasser-Krankenhauses, aber können sie nirgendwo hin verlegen. Es ist zu gefährlich“, gibt Dr. Tawfiq A. Nasser, leitender Direktor des Auguste Viktoria-Krankenhauses (AVK) in Jerusalem, einen Bericht aus Gaza wieder. Zu Beginn der Woche hatte das vom Lutherischen Weltbund (LWB) getragene AVK zwei freiwillige medizinische Teams nach Gaza entsandt, insgesamt sechs ÄrztInnen und sechs Pflegekräfte. Sie unterstützen die Mediziner vor Ort dabei, die steigende Zahl Verletzter aus dem Konflikt mit Israel zu versorgen.

„Die Entsendung dieser medizinischen Teams nach Gaza gehört zu den Leistungen, die das Krankenhaus für die Bevölkerung im Gazastreifen bereitstellt. Die Massnahme ist eine Antwort auf die extreme Notlage, auf die das medizinische Personal in Gaza hingewiesen hat. Es zeigt die Entschlossenheit des AVK, den durch israelische Bomben und Artilleriebeschuss verletzen Menschen zu helfen“, sagte Nasser. Er fügte hinzu, dass Berichten aus Gaza zufolge viele Menschen Zuflucht auf dem Gelände von Krankenhäusern im Gazastreifen suchen, weil diese als die sichersten Orte in der Stadt gelten.

Krankenhaus ähnelt einem Flüchtlingslager

Die Menschen, die nach einer sicheren Unterkunft suchen, erhöhen den Druck auf die Kapazitäten des Krankenhauses. „Das Krankenhausgelände ist vollgestellt mit Zelten und provisorischen Unterkünften. Es ist der sicherste Ort in der Stadt. Es kommen immer mehr Menschen. Ich weiss nicht, wie viele das Krankenhaus noch aufnehmen kann. Hier sieht es aus wie in einem grossen Flüchtlingslager“, schreibt das medizinische Team des AVK aus Gaza.

„Überall im Krankenhaus liegen schlafende Menschen, auf den Böden, in den Korridoren, obdachlos, hoffnungslos, ohne Familien. Die Freiwilligen im Krankenhaus sind nur noch damit beschäftigt, das Blut von den Böden aufzuwischen. Der Geruch von Blut ist überall. Die Zustände hier sind unvorstellbar, man begegnet schrecklichen Geschichten von Leid, Schmerz und Verlust“, gibt Nasser die Situation in Gaza wieder, wie sie ihm von seinem Team beschrieben wurde. Die Freiwilligen dort arbeiteten unter grosser Anspannung und extrem schwierigen Bedingungen. Die gesamte Infrastruktur - Strom, Wasser- und Kläranlagen, Schulen und Krankenhäuser  - ist beschädigt.

„Wir können den Schmerz und die Verzweiflung um uns fühlen und ihnen nicht entkommen“, schreibt ein Mitglied des Medizinerteams. „Hier schläft ein Kind auf einem Stück Pappe neben seinem schwer verletzten Vater. Jedes Mal, wenn ich vorbei gehe, scheint das Kind zu schlafen, aber es hat immer ein Auge auf den Vater, um sicherzugehen, dass er immer noch neben ihm liegt und lebt. Das Kind will nicht zur Waise werden und alleine zurückbleiben.“

Gesundheitsversorgung in Gaza bricht zusammen

Zum AVK-Team gehören SpezialistInnen in Notfallmedizin, Intensivpflege, Chirurgie, Innerer Medizin und Pädiatrie, begleitet durch das Fachgebiet Pflege. Ausserdem brachte das Team dringend benötigtes Verbandsmaterial und Medikamente in den Gazastreifen. Aufgrund der Sicherheitslage in Gaza mussten fünf Krankenhäuser und 34 Kliniken geschlossen werden. Das AVK plant, innerhalb der nächsten drei Monate mindestens 10 weitere Missionen nach Gaza zu entsenden. Mehr als 9.000 Menschen sind während des Konflikts verletzt worden.

„Vor kurzem wurde klar, dass die medizinischen Teams in Gaza aufgrund des andauernden Krieges überfordert sind und Hilfe benötigen. Als sich am 1. August dank eines humanitären Waffenstillstands ein kurzes Zeitfenster ergab, hat das AVK schnell reagiert und ein medizinisches Team entsendet“, sagt der regionale Vertreter der Abteilung für Weltdienst in Jerusalem Pfr. Mark B. Brown.  

„Nach den Berichten, die wir aus dem Konfliktgebiet bekommen, bricht das Gesundheitssystem in Gaza zusammen. Die Mediziner sind nicht mehr in der Lage, die Zahl der Verletzten zu behandeln. Selbst mit den enormen Mengen von Verbandsmaterial  und Technologie, die jetzt nach Gaza geschickt werden, kann das Gesundheitssystem nicht ohne eine ausreichende Zahl an medizinischem Personal auskommen“, fügte er hinzu.

Das AVK, das regelmässig KrebspatientInnen aus Gaza aufnimmt und behandelt, hat bereits eine Abteilung mit 12 zusätzlichen Betten in der Chirurgie und 4 Intensivpflegebetten eingerichtet, um Verletzte und KrebspatientInnen, die in Gaza festsitzen und deren Zustand sich verschlechtert, zu versorgen. Das Krankenhaus geht davon aus, dass es sechs Monate dauern wird, die TumorpatientInnen, die ihre Behandlungen aussetzen mussten, wieder in den normalen Behandlungsverlauf zurückzuführen.

Der LWB ruft zu Spenden auf, um den Opfern im Gazakonflikt weiterhin Unterstützung zukommen zu lassen.