„Rechtliche und moralische Pflicht, Schutz zu bieten“

Demonstration in Wisconsin gegen die Abschiebung von Kindern im Juli 2014. Foto: Light Brigading (via Flickr, CC-BY-NC)

Mitgliedskirchen kritisieren Massenabschiebung von Kindern aus den USA nach Mittelamerika

(LWI) – Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Amerika (ELKA) hat Pläne der US-amerikanischen Regierung kritisiert, tausende unbegleitete minderjährige Migranten ohne den Schutz eines Gerichtsverfahrens in ihre Heimatländer abzuschieben. Die LWB-Mitgliedskirche kritisierte, dass die US-Regierung die Inhaftierung von Familien mit Kindern aus Mittelamerika ausweitet und die Abschiebeverfahren beschleunigt.

US-amerikanische Grenzpatrouillen hatten nach Regierungsangaben seit Oktober 2013 rund 57 000 unbegleitete Minderjährige an der US-amerikanischen Grenze aufgegriffen. Damit hat sich die Zahl von 28 000 Kindern im Vorjahr fast verdoppelt. Drei Viertel dieser Kinder stammen aus Honduras, Guatemala und El Salvador, die übrigen kommen aus Mexiko. Die jüngsten der aufgegriffenen Kinder waren gerade einmal vier Jahre alt.

Mehr als 16 000 Kinder aus Honduras sind seit Oktober an der Grenze zwischen den USA und Mexiko aufgegriffen worden. Darüber hinaus nahmen Grenzpatrouillen 14 000 Kinder aus Guatemala und 13 000 aus El Salvador fest. Geschätzte 5 000 der honduranischen Kinder sind entweder bereits durch die Einwanderungsbehörde der USA abgeschoben worden oder befinden sich im Prozess der Abschiebung. Zusätzlich dazu wurden dutzende Mütter und ihre Kinder aus den USA nach Guatemala zurückgebracht. Weitere Kinder wurden in Gruppen nach El Salvador abgeschoben.

Flucht vor Armut und Gewalt

Die Kinder  verlassen ihre Heimatländer, um Schutz vor Drogen- und Menschenhandel, sexueller Ausbeutung, Hunger, Armut und anderen Bedrohungen zu suchen, sagte LWB-Ratsmitglied Pfr. Rafael Malpica Padilla, gleichzeitig Exekutivdirektor der Weltweiten Mission der ELKA.

Zentralamerika gilt als eine der gefährlichsten Regionen weltweit. In Honduras, El Salvador und Guatemala werden im internationalen Vergleich die meisten Menschen ermordet. Die Mordrate in Honduras ist die höchste ausserhalb eines Kriegsgebiets. Die Gewalt wird von Strassengangs  ausgeübt, die sich mit Drogenhändlerringen zusammengeschlossen haben, um Kokain aus den Anden nach Amerika zu schmuggeln. Gleichzeitig sind Schätzungen zufolge 70 Prozent der honduranischen Bevölkerung nicht in der Lage, ihren eigenen Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, ökologischen und politischen Umstände in Mittelamerika machen die Region zu einer der gefährdetsten der Welt.

„Unsere Partnerkirchen in Mittelamerika kämpfen seit Jahren gegen die zunehmende Gewalt in der Gesellschaft, deren Ursache Armut und Ungleichheit ist. Meine dringende Bitte an die Entscheidungstragenden in den Vereinigten Staaten ist, umfassend auf diese humanitäre Krise zu reagieren“, sagte Malpica Padilla.

„Blickwinkel des Kinderschutzes anwenden“

„Unsere Antwort muss die dringenden Bedürfnisse der neu angekommenen Migrantinnen und Migranten hier in den Vereinigten Staaten berücksichtigen“, fügte Malpica Padilla hinzu. „Sie muss aber auch unsere Wirtschafts- und Sicherheitspolitik in Bezug auf Zentralamerika  kritisch überdenken und neue Herangehensweisen in Erwägung ziehen als die, die wir in der Vergangenheit angewandt haben.“

„Zuerst einmal sind das Kinder“, erklärte Ralston Deffenbaugh, Assistierender LWB-Generalsekretär für Internationale Angelegenheiten und Menschenrechte. „Das sollten wir uns vor allem in Erinnerung rufen. Wir müssen sie aus dem Blickwinkel der Kinderfürsorge betrachten und nicht aus dem Blickwinkel des Rechtsvollzugs. Unsere Frage muss sein: Was dient dem Wohlergehen der Kinder?“

„Die Tatsache, dass verzweifelte Eltern das Leben ihrer Kinder aufs Spiel setzen, indem sie sie auf eine gefährliche und ungewisse Auswanderung schicken zeigt uns, wie gewalttätig und unsicher die Situation in Mittelamerika ist“ führte Deffenbaugh weiter aus. „Kein Elternteil trifft so eine Entscheidung ohne guten Grund. Zufluchtsländer wie die Vereinigten Staaten haben eine moralische und rechtliche Pflicht, diese Kinder zu schützen. Und ein wesentlicher Teil dieser Pflicht ist es sicherzustellen, dass die Kinder nicht in exakt die gleiche Situation zurückgeschickt werden, in der ihr Leben überhaupt erst bedroht war.“

Suche nach Familienangehörigen

ELKA-Mitglieder kümmern sich durch das lutherische Nothilfeprogramm „Lutheran Disaster Response“ mit ihren lutherischen Partnerkirchen und strategischen Verbündeten der in Baltimore ansässigen lutherischen Immigrations- und Flüchtlingshilfe „Lutheran Immigration and Refugee Services“ um eine angemessene Unterstützung für die unbegleiteten Migrantenkinder.

„Zusammen mit Lutheranerinnen und Lutheranern und lokalen Gemeinden arbeiten wir daran, tausende Kinder mit ihren in den USA lebenden Familienangehörigen zusammenzuführen. Kinder, die keine Angehörigen hier haben, versuchen wir in liebevollen Familien unterzubringen“, sagte die Präsidentin und Vorsitzende der lutherischen Immigrations- und Flüchtlingshilfe, Linda Hartke.

„Wir glauben, dass es hier nicht nur um das Leben und der Würde einzelner Frauen, Kinder und Familien geht“, so Hartke weiter. „Es besteht auch die generelle Gefahr, dass Menschen, die weltweit vor Gewalt fliehen, immer weniger Schutz finden. Diese Kinder haben eine gefährliche Reise hinter sich, die viel Mut erfordert. Wir können keine Reaktion der US-Regierung akzeptieren, welche diese Kinder gewaltsam und unterschiedslos in Situationen abschiebt, in denen ihr Leben in Gefahr ist.“

Kirche leistet Unterstützung vor Ort

Der LWB hat ein aktives Programm der Abteilung für Weltdienst in der Region und blickt auf eine lange Geschichte der engen Zusammenarbeit mit den Kirchen und Menschen in Mittelamerika zurück. Auf seiner Tagung  in Bogotá (Kolumbien) im Juni 2012, rief der LWB-Rat die Regierungen von Honduras, Guatemala und El Salvador auf, „die Schreie der Menschen zu erhören, ihre Menschenrechte zu achten und zu schützen, die Gesetze ihres Landes durchzusetzen und die Straffreiheit in ihrem jeweiligen Land zu beenden, indem sie diejenigen zur Rechenschaft ziehen, die Gewalttaten begehen“.

Ausserdem rief der Rat dringend dazu auf, „dass Programme, die die Sicherheit von Frauen, Mädchen, Jungen und Jugendlichen fördern und ihnen den Zugang zu Bildung, Arbeit und ein Leben in Würde ermöglichen, gestärkt werden“.

Bischof Medardo Gomez von der Lutherischen Kirche in El Salvador sagte, es sei „der Auftrag der Kirchen in der Region, auf die Krise zu reagieren, indem den unbegleiteten Kindern, die in ihre Länder zurückkehren, seelsorgerlicher Beistand geleistet wird“.

„Die unbegleiteten Kinder, die sich auf den Weg in andere Länder machen, sind auf der Suche nach Leben. Die salvadorianische lutherische Kirche engagiert sich seit langem durch Seelsorge in der Nothilfe“, erklärte er. „Es ist ein Segen für uns, dass die meisten Kirchen in der Region in der Lage sind, in Netzwerken mit ökumenischen Organisationen und der Zivilgesellschaft Seelsorge zu leisten. Ich hoffe sehr, dass auch die Regierungen sich an der Bewältigung dieser Krise beteiligen.“